Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP auf der BAU 2019
Bereits seit 2014 wächst die Bauwirtschaft kontinuierlich. Für das Jahr 2018 hat der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie die Jahresauftaktprognose über die Entwicklung der baugewerblichen Umsätze im Bauhauptgewerbe von nominal vier auf sechs Prozent angehoben. Zeitgleich sieht sich die Baubranche ständig neuen Herausforderungen gegenüber: Die weiter zunehmende Digitalisierung im Bausektor, Ressourcenverknappung, gestiegene Ansprüche an die Energieeffizienz von Gebäuden oder an deren Innenraumklima sowie eine fortschreitende Verstädterung verursachen tiefgreifende Veränderungen in allen Bereichen der Gesellschaft und fordern neue Lösungen von Industrie, Politik und Forschung. Im Rahmen der Messe BAU 2019, die vom 14. bis 19. Januar in München stattfindet, präsentiert das Fraunhofer IBP auf der Sonderschau »Lebensräume der Zukunft: digital – nachhaltig – smart« (Halle C2, Stand 528) den Besuchern innovative Produkte und Systemlösungen zu den Themen Digitalisierung, neue Nachhaltigkeit, nutzergerechtes Wohnen sowie resiliente Quartiere.
Innovation Cube
In dem zweigeschossigen Innovation Cube, der sich im Zentrum des knapp 300 Quadratmeter großen Messestandes der Fraunhofer-Allianz Bau befindet, ist das Fraunhofer IBP mit vier Exponaten vertreten, die innovative und spannende Lösungen demonstrieren.
Das »Augmented Reality Experience Lab« macht das virtuelle Bauen für verschiedene Sinne erlebbar. Planer, Bauherren, Produkthersteller und potenzielle Nutzer begegnen hier mittels einer neuen Dimension der 3D-Technologie dem digitalen Zwilling ihrer Pläne. Denn das »AR Experience Lab« ergänzt die optische virtuelle Realität um weitere Sinne: Raumlufttemperatur, Wärmestrahlung sowie Luftfeuchtigkeit und -strömung werden für den Nutzer fühlbar dargestellt. Aber auch die Außentemperatur, die Baukonstruktion und die Gebäudetechnik können Bestandteile der Simulation sein. Eine virtuelle Bemusterung, die bereits in der Planungsphase verschiedene Bauteile, wie beispielsweise Fassaden- oder Fensterelemente, Bauprodukte oder Montagezustände in verschiedenen Kombinationen miteinander verknüpft und deren Wirkung miteinander widerspiegelt, ermöglicht zukünftig eine verlässlichere Systementscheidung für Architekten, Planer und Bauherren. Auf der BAU 2019 haben Besucher die Möglichkeit, mit Hilfe einer VR-Brille und Kopfhörern durch ein virtuelles Gebäude bewegen und erste Akustik- und Lichtsimulationen erleben.
Für Menschen in Räumen sind Tageslicht und eine gute Beleuchtung von großer Bedeutung. Sie sind nicht nur für die körperliche Gesundheit ausschlaggebend, sondern wirken sich auch massiv auf Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit aus. Wissenschaftler am Fraunhofer IBP forschen daher intensiv auf diesem Gebiet und zeigen auf dem Messestand eine energie- und kosteneffiziente, fassadenintegrierte Tageslicht- und LED Beleuchtung, die für eine bessere Qualität der Raumbeleuchtung sorgt. Zu sehen ist ein zweiteiliges Fassadenexponat mit Decke, das eine LED-Kunstlichtauskopplung aus durchsichtigen Gläsern und eine neue Technik der Sonnenlichtumlenkung zeigt. Grundlage bilden zwei neuartige, miteinander funktional kombinierbare mikrooptische Strukturen, die kostengünstig zu fertigen sind. Dabei handelt es sich zum einen um lichtumlenkende Strukturen, die beidseitig auf transparenten Trägerschichten aufgebracht und dafür optimiert sind, Tageslicht blendfrei tief in fassadenferne Gebäudebereiche umzulenken. Die Funktion dieses Fassadenelements wird durch einen an der Außenseite angebrachten Strahler demonstriert, der einfallendes Sonnenlicht simuliert. Darüber hinaus kommen lichtauskoppelnde Strukturen zum Einsatz. Diese werden auf der Oberfläche transparenter Träger aufgebracht und strahlen das Licht von LEDs, das von der unteren und/oder oberen Kante eingekoppelt wird, gezielt auf nur einer Seite ab. Das Element bleibt bei Draufsicht transparent und kann zukünftig mit Glas oder der lichtumlenkenden Struktur zu Fassadenkomponenten kombiniert werden. Die Komponenten sind dann sowohl tageslichtdurchlässig oder in der Lage, das Licht umzulenken. Falls – bei nicht ausreichenden Tageslicht – raumseitig erforderlich, kann somit aus der Fassade künstliches Licht hinzufügt werden. Die lichtauskoppelnde Komponente kann auch in andere raumbildende transparente Elemente wie Raumteiler oder Leuchten integriert werden. Hierzu zeigen die Forscher eine Arbeitsplatzleuchte mit Mikrostrukturen. LED-Licht wird gezielt nach unten bzw. oben in den Arbeitsbereich abgegeben. Die durchsichtigen lichtauskoppelnden Glasflächen der Leuchte sind ohne Lichteinbußen mit Siebdruck gestaltbar.
Nicht transparent, dafür aber mit zahlreichen ökologischen und ökonomischen Vorteilen verknüpft, ist das Typhaboard. Der Rohrkolben (lat. Typha) ist eine unempfindliche Sumpfpflanze. Ihre strukturelle Beschaffenheit ermöglicht es, daraus Baumaterialien herzustellen, die ein Alleinstellungsmerkmal in der Kombination von Dämm- und Tragwirkung aufweisen. Auf Basis dieser natürlichen Eigenschaften entwickelte der Architekt Werner Theuerkorn in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IBP einen magnesitgebundenen Baustoff, der alle positiven Qualitäten des Rohrkolbens vereint. Er ist statisch belastbar, schimmelresistent, gut dämmend und energiearm in der Herstellung. Er besteht nur aus dem Pflanzenmaterial und einem mineralischen Kleber und ist daher besonders nachhaltig. An einer Innenwand des Innovation Cubes ist das umweltfreundliche Bauprodukt zu sehen.
Mehr als eine Million Wasserschäden werden jährlich in Deutschland an Versicherungen gemeldet. Infrarot-Heizplatten und Folienzelte, die bei der professionellen Trocknung von Wänden und Boden normalerweise zum Einsatz kommen, verschlingen große Energiemengen. Mit dem neuen Trocknungssystem Fast Dry Technologies™ (EDF-Prinzip = Energieeffizient, Diffusionsoffen, Flexibel) haben Wissenschaftler des Fraunhofer IBP in Stuttgart eine Alternative entwickelt, welche die Wärme direkt an die betroffene Stelle abgibt. Dazu wird das 100x50 Zentimeter große System, das aus einem brandsicheren, diffusionsoffenen Dämmmaterial und einer elektrischen Heizung besteht, direkt auf die nasse Innenwand aufgebracht. Dies funktioniert auch auf gekrümmten Oberflächen, beziehungsweise runden Wänden. Ein Sensor regelt die Temperatur der Heizung. Wird diese erhöht, setzt die Trocknung gleichmäßig ein. Die diffusionsoffene Dämmung auf der Rückseite minimiert die Wärmeverluste und lässt gleichzeitig die Feuchte ungehindert durch. Labortests bei gleichen Bedingungen an durchnässten Hochlochziegelwänden haben ergeben, dass die Energieeinsparung gegenüber IR-Heizplatten bei gleicher Trocknungszeit mehr als 80 Prozent beträgt. Ein Prototyp wird auf der Messe zu sehen sein.
Der Weg zur Digitalisierung für mittelständische und kleine Unternehmen
Seit seiner Gründung im März 2018 ist das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Planen und Bauen im Fraunhofer IBP beheimatet. Mittelständische und kleine Unternehmen, welche die deutsche Bau- und Immobilienwirtschaft prägen, erhalten in den kommenden knapp drei Jahren vielfältige Unterstützung, um den digitalen Wandel aktiv anzugehen und ihn für ihre Geschäftsmodelle erfolgreich zu nutzen. 12 starke Partner mit 5 regionalen Teilzentren unterstützen die mittelständische Bauwirtschaft und das Handwerk mit Demonstratoren, Umsetzungsprojekten, Qualifizierungen und Workshops. Ziel ist es, die Lücke zwischen digitalen Lösungen und deren praxisgerechter und erfolgreicher Anwendung zu schließen.
Hierfür werden Übungsfelder mit dem Ziel aufgebaut, vollständige Prozessketten aufbauen, erproben und den Anwendern zur Verfügung stellen zu können. Hierbei wird intensiv auf die jeweilige Zielgruppe eingegangen, denn das Handwerk, die Baustelle, der Gebäudebetrieb, die Planung und die Projektfinanzierung benötigen unterschiedliche Lösungen zur erfolgreichen Digitalisierung.
Auf dem Messestand werden Demonstratoren wie das »AR Experience Lab«, der BIM2FM Showcase oder der »Elbedom« als 360° immersives VR-Lab präsentiert.
Vom Bauschutt zu funktionalen Baumaterialien und Bauteilen
Durch den Abriss von Gebäuden und Infrastruktur fallen allein in Deutschland jedes Jahr rund fünf Millionen Tonnen an feinkörnigem Bauschutt an. Dieser landet auf Deponien oder wird für den Straßenbau verwendet. Da über kurz oder lang viele Rohstoffe, darunter auch Sand und Kies, nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung stehen werden, ein echtes Problem. Im Projekt »BauCycle« haben es sich daher die Fraunhofer-Institute für Bauphysik IBP, für Materialfluss und Logistik IML, für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT und für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB zur Aufgabe gemacht, den Bauschutt wieder aufzubereiten, aus dem mineralischen Gemisch einen nachhaltigen Wertstoff zu generieren und Anwendungsmöglichkeiten für den Hochbau aufzuzeigen. Ein Beispiel dafür ist Porenbeton, ein leichter Baustoff mit guter Wärmedämmung. Er eignet sich für den Bau zweistöckiger Häuser, aber auch als Isoliermaterial in Innenräumen. Tests ergaben, dass Mischungen aus Beton und Kalksandstein ebenfalls wiederverwertbar sind und sich als sekundärer Rohstoff für die Produktion von Porenbeton mit konkurrenzfähigen Festigkeiten eignen. Eine weitere Erkenntnis des Projekts: Aus Ziegel und Altbeton lassen sich Geopolymere herstellen. Dieser zementfreie Baustoff mit betonähnlichen Eigenschaften in Bezug auf Festigkeit und Säureresistenz, zeichnet sich zudem durch eine sehr gute CO2-Bilanz aus. Neben Proben aus unterschiedlichen Porenbetonmischungen zeigt das Expertenteam auf der BAU 2019 Fassadenplatten aus Geopolymeren sowie den Prototyp einer schallabsorbierende Platte mit einer offenen Porosität, die aus Granulaten gefertigt wurde.
Mehr Planungssicherheit mit funktionalen Fassaden-Mockups
Die Gebäudehülle ist die zentrale Schnittstelle zur Außenwelt. Neben dem Schutz vor Wettereinflüssen sind zudem unterschiedliche Funktionen wie Energieeffizienz und Behaglichkeit im Innenraum, Belüftung, Tageslichtversorgung und Blendschutz, thermische sowie elektrische Energieerzeugung für eine moderne Fassade maßgeblich. Das stellt die beteiligten Fachbereiche Metall- und Leichtbau, Maschinenbau sowie Glaswesen, aber auch Architekten und Planer vor große Herausforderungen. Planungsgrundlagen sind häufig Annahmen, Erfahrungen und Berechnungen. Für mehr Sicherheit bei Planung und Ausführung der Fassade, bietet das Fraunhofer IBP funktionale Modelltests an Mockups für Planer, Bauherren und Hersteller an. Dabei wird bereits vor dem eigentlichen Bau das Zusammenspiel einzelner Komponenten getestet, um so eventuelle teure und aufwendige Nachbesserungen im Betrieb zu vermeiden – denn immerhin fließen durchschnittlich 15 bis 25 Prozent der Baukosten bei Großprojekten allein in die Fassade. Mit Hilfe der am Fraunhofer IBP ansässigen Versuchseinrichtungen, wie beispielsweise der Versuchseinrichtung für energetische und raumklimatische Untersuchungen (VERU), führen die Wissenschaftler individuelle Bemusterungen unter Realbedingungen durch. Messebesucher können ein Element einer Abluftfassade (ACT Façade) besichtigen und sich von dem Expertenteam hinsichtlich Testmöglichkeiten und Fassadentechnologien beraten lassen.
Bauphysik urbaner Oberflächen
Nach Angaben der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung in Hannover sind in der Bundesrepublik heute drei von vier Menschen Stadtbewohner; bis zum Jahre 2050 wird der Anteil voraussichtlich auf 83 Prozent steigen. Um dieser zunehmenden Verstädterung, aber auch den zunehmenden Gefahren und Bedrohungen, beispielsweise durch Klimakatastrophen, begegnen zu können, müssen sich die Städte der Zukunft verändern. Urbane Oberflächen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie beeinflussen die Lebens- und Umweltqualität der Bewohner maßgeblich. Begrünte Fassaden verbessern beispielsweise das Stadtklima und die Luftqualität. Hydroaktive Oberflächen puffern Regenwasser und geben es zeitverzögert ab, um Hitze und Überflutung gleichermaßen zu reduzieren. Zugleich bestehen untrennbare Wechselbeziehungen von Nutzung und Gestaltung urbaner Flächen mit anderen Handlungsfeldern, wie der Ressourcen- und Energieeffizienz, der Klimaresilienz sowie der Mobilität und Produktivität städtischer Strukturen. In dem vom Fraunhofer IBP koordinierten Forschungsvorhaben BUOLUS (Bauphysikalische Gestaltung urbaner Oberflächen für nachhaltige Lebens- und Umweltqualität in Städten) wird im Verbund von kommunalen und wissenschaftlichen Einrichtungen, von Stadtplanern und -entwicklern, von Bauunternehmen und Baustoffherstellern das bauphysikalische Wirkpotenzial urbaner Oberflächen, die sich in Siedlungen, Infrastruktur, Grünanlagen und Gebäuden finden, ganzheitlich bewertet und erschlossen sowie technologisch erweitert und praxistauglich erprobt.
Ziel ist es, neue Möglichkeiten, Verfahren, Systeme oder Materialien zur Verbesserung der Resilienz von Städten zu untersuchen. Das Projekt orientiert sich dabei stark am tatsächlichen kommunalen Bedarf, den dort vorhandenen Fragestellungen und drängenden Problemen. Auf der Messe stellen die Mitarbeiter des Fraunhofer IBP ihr Projekt in einem Modell vor und zeigen zukunftsweisende Ansätze für Städte und Metropolen.
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