Der Klimawandel gefährdet jahrhundertealte Wandmalereien, Gemälde, Möbel und Textilien. Lässt sich der Verfall stoppen? Im EU-Projekt »Climate for Culture« suchen Forscher nach Lösungen.
Forschung kann schweißtreibend sein – vor allem, wenn sich das Studienobjekt in 1868 Metern Höhe befindet. Drei Stunden dauert der Anstieg zum Königshaus auf dem Schachen. Ralf Kilian würde den Weg im Schlaf finden. Fünf Jahre lang ist er ihn regelmäßig hinaufmarschiert – erst, um Sensoren anzubringen, später, um deren Messwerte abzulesen. Welch ein Ambiente für die Klimaforschung: Ein Märchenschloss wie aus 1001-Nacht. Der bayerische König Ludwig II. ließ das Gebäude Ende des 19. Jahrhunderts errichten, um dort orientalische Feste feiern zu können. Der erste Stock des Holzhauses ist mit bunten Glasfenstern, Perserteppichen, goldenen Leuchtern, Fächern aus Straußenfedern und sogar einem Springbrunnen ausgestattet.
Im »Türkischen Saal« des Königshauses haben Kilian und seine Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP in Holzkirchen mit mehr als einem Dutzend Sensoren über Jahre hinweg die Luftfeuchtigkeit und Temperatur gemessen. Hochsensible Glassensoren – eine Entwicklung des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung ISC in Würzburg – detektieren außerdem Luftschadstoffe und Mikroorganismen. Um die Messungen im Innenraum mit den Außenbedingungen vergleichen zu können, wurde im Garten eine Wetterstation aufgebaut, die regelmäßig Informationen über Wind, Sonne, Niederschlag und Temperatur ins Tal funkt. »Mit Hilfe dieser Daten konnten wir die Veränderungen des Raumklimas im Jahresverlauf sehr genau dokumentieren und auswerten«, berichtet der Forscher.
Das überraschende Ergebnis: Trotz der extremen Bedingungen hoch oben im Wettersteingebirge bleibt im Schachenhaus die relative Feuchte der Luft die meiste Zeit stabil zwischen 40 bis 70 Prozent – in einem Bereich, der als akzeptabel für Sammlungen und Museen gilt. Tatsächlich sind Wandgemälde, Teppiche und Möbel sehr gut erhalten. Ein Glücksfall. Andere historische Bauten wie Schloss Linderhof, das die Holzkirchner Forscher ebenfalls untersucht haben, sind in einem weit schlechteren Zustand: Der Putz bröckelt, Farbe und Vergoldung lösen sich vom Untergrund. Die Ursache ist eine stark erhöhte Luftfeuchtigkeit, die durch Tausende von atmenden und schwitzenden Besuchern hervorgerufen wird.
Die Messungen in den bayerischen Königsschlössern sind ein kleiner aber wichtiger Puzzlestein im EU-Projekt »Climate for Culture«. 27 Teams aus 14 Ländern der EU sowie Ägypten haben mehrs als 100 Kulturdenkmäler untersucht – darunter das schwedische Schloss Skokloster, eine slowenische Burg in Brezice, ein englisches Herrenhaus in Knole, einen venezianischen Bürgerpalast und eine norwegische Stabkirche in Garmo. Auf Basis dieser Messwerte erstellte Florian Antretter vom Holzkirchner Fraunhofer-Institut mit der Spezialsoftware WUFI®Plus Simulationen des Innenraumklimas an den unterschiedlichen Orten. Die Ergebnisse dokumentieren, wie sich unterschiedliche klimatische Bedingungen auf den Erhalt von Gebäuden und Kunstgegenständen in ganz Europa auswirken.
Mit Hilfe der riesigen Datenbank, die so entstand, können die Forscher jetzt in die Zukunft blicken. Das Ziel des Projekts »Climate for Culture« ist es vorauszusagen, welche Auswirkungen Klimaveränderungen auf Kulturschätze haben werden: Durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe steigt seit Beginn der Industrialisierung die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre. Die Modelle der Klimaforscher zeigen, dass dieser Treibhauseffekt Wetterextreme, einen Anstieg der Meeresspiegel und eine Verschiebung der Klimazonen zur Folge hat. Erste Veränderungen werden jetzt schon beobachtet – ein Hinweis, dass die Simulationen stimmen – und sollen sich in Zukunft noch verstärken. Regional kann der Klimawandel allerdings ganz unterschiedliche Folgen haben: Die Modelle der Forscher vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg zeigen, dass es im Mittelmeerraum heißer und trockener wird, in Nordeuropa – vor allem zwischen Nordsee und Baltikum – jedoch wesentlich feuchter. Was diese Prognosen im Detail bedeuten, zeigen Risikokarten, welche das internationale und interdisziplinäre Forscherteam in dem Projekt erarbeitet haben: Karten von Europa mit einer Auflösung von 10 mal 10 Kilometern. Für jeden der mehr als 500 Gitterpunkte lassen sich detaillierte Klimaprognosen abrufen – Temperatur und Feuchte im Stundentakt bis zum Jahr 2100.
Gekoppelt mit den Innenraum-Simulationen der WUFI-Software lassen sich die Folgen des Klimawandels detailliert voraussagen: »Das kombinierte Modell liefert uns Prognosen, welche Temperatur- und Feuchtewerte im Innenraum eines historischen Gebäudes an einem bestimmten Ort herrschen werden«, erläutert Prof. Klaus-Peter Sedlbauer, Leiter des IBP. »Wenn die Klimamodelle im Süden Englands eine Erhöhung der Durchschnittstemperatur um drei Grad und eine Zunahme der Feuchte um 10 Prozent prognostizieren, dann warnt die Software auf Basis der im Projekt gesammelten Daten zum Beispiel vor erhöhtem Risiko für Schimmelbefall. In Südeuropa, wo es trockener wird, drohen hingegen Schäden durch zu starkes Austrocknen.«
Das Modell erlaubt sogar Reisen durch Raum und Zeit: Per Mausklick können die Wissenschaftler die Kirche St. Margaretha, die heute im bayerischen Roggersdorf steht, ins Jahr 2050 katapultieren und in die französische Provence oder an einen norwegischen Fjord versetzen. Das Simulationsprogramm liefert prompt die Werte für Temperatur und Feuchte im Innenraum, die aus dieser Verschiebung resultiert. Berücksichtigt wird auch die Art des Bauwerks: Die Kirche mit ihren dicken Wänden und kleinen Fenstern erzeugt ein anderes Innenraumklima als ein lichtdurchflutetes Gebäude wie Schloss Schönbrunn. Alle die Informationen, die diese virtuellen Reisen liefern, haben die Forscher in einer Datenbank gesammelt. Sie geht Ende 2014 online. »Besitzer vom Burgen und Schlössern, Verwaltungen von Museen und Sammlungen können ihren Standort eingeben sowie die Charakteristik ihres Gebäudes wählen und bekommen frei Haus die Prognosen, welche Klimaveränderungen bis zum Jahr 2100 zu erwarten sind beziehungsweise welche Folgen diese haben«, erklärt Dr. Johanna Leissner, die das EU-Projekt koordiniert. Die Datenbank liefert auch gleich Hinweise, wie man die Kunstgegenstände künftig vor dem Verfall bewahren kann und was es kostet, wenn langfristig vermehrt geheizt oder gekühlt werden muss.
Interessant sind diese Ergebnisse vor allem für diejenigen, die gerade vor einer Renovierung stehen, betont Leissner: »Wenn man kostspielige Maßnahmen ergreift, dann sollte man auch gleich das Innenraumklima stabilisieren, um weitere Schäden präventiv auszuschließen.« Die Bayerische Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen will die Ergebnisse aus dem Projekt bei der geplanten Renovierung in Linderhof bereits nutzen.
Im Königshaus auf dem Schachen bleibt alles, wie es ist. Der Türkische Saal ist nach wie vor in einem Top-Zustand. Die für das Raumklima günstige doppelte Holzbauweise und die Abgeschiedenheit wirken sich positiv aus: Menschenmassen wie in Neuschwanstein und Linderhof, die das Klima in den Innenräumen beeinflussen, gibt es auf dem Schachen nicht – den Aufstieg nimmt eben nicht jeder gern in Kauf.
Text: Monika Weiner