Risikoeinschätzung zur Ansteckungsgefahr mit COVID-19 im Schienen- sowie im Straßenpersonennah- und -fernverkehr

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Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie und das Andauern der Eindämmungsmaßnahmen haben zu einem dramatischen Einbruch der Nutzerzahlen des öffentlichen Personenverkehrs (ÖPV) geführt. Nach dem Robert-Koch-Institut (RKI) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird das Virus hauptsächlich beim Sprechen und Atmen über die Aufnahme von Tröpfchen und Aerosole durch Mund und Nase übertragen. Vor allem in überfüllten oder unzureichend belüfteten Räumen, in denen sich infizierte Personen längere Zeit aufhalten, ist eine Ansteckung wahrscheinlich. Im Forschungsprojekt »Risikoeinschätzung zur Ansteckungsgefahr mit COVID-19 im öffentlichen Personenverkehr« wurde untersucht, ob Maßnahmen wie Mund-Nasen-Bedeckung und Mindestabstand ausreichen, um die Anreicherung von virenbeladenen Aerosolen in Innen- und Außenräumen von Bahnhöfen, an Bahnsteigen oder in Verkehrsmitteln des öffentlichen Verkehrs so zu reduzieren, dass eine mögliche Infektion wirksam verhindert werden kann.

Projektziele

Das Projekt wurde vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP koordiniert und gemeinsam mit fünf Projektpartnern (Fraunhofer-Institut für Holzforschung WKI, Institut für Bahntechnik GmbH (IFB), Technische Universität München – Institut für Virologie & Helmholtz Zentrum München, LMU Klinikum IPASUM – Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin und Alstom S.A.) durchgeführt. Neben einer Risikoabschätzung im ÖPV wurden darauf folgende Handlungsempfehlungen, sowie Leitfäden zur Minderung der Ansteckungswahrscheinlichkeit erarbeitet. Dies umfasst organisatorische Verhaltensmaßnahmen (z. B. Abstand einhalten oder Maske tragen), technische (z. B. Lüftungsintervalle und Nachrüstlösungen der Lüftungsanlage), medizinische (z. B. Desinfektion) und betriebliche Maßnahmen (z. B. Crowd Management am Bahnsteig).

Die Erkenntnisse der Forschung sollen die wichtigsten Informationen bereitstellen und Maßnahmen für ein sicheres Reisen beschreiben. Dies gilt für alle am öffentlichen Personenverkehr Beteiligten wie Hersteller und Betreiber der Verkehrsmittel, die Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe sowie für die Fahrgäste.

Eine verstärkte Nutzung des ÖPV gelingt unseres Erachtens nur, wenn bestehende Risiken möglichst effektiv reduziert werden. Nicht zuletzt sollte dadurch auch das Vertrauen der Fahrgäste in die hygienische Sicherheit der Verkehrsmittel gestärkt werden, indem gezeigt wurde wie bestehende Risiken möglichst effektiv reduziert werden können. 

Projektergebnis

Das Projekt wurde aufgeteilt in drei grundlegende Arbeitspakete durchgeführt.

  • Im Arbeitspaket 1 wurde eine internationale Datenbestands- und Literaturstudie durchgeführt, es galt zu ermitteln, wie genau sich das Virus in den Innenräumen unterschiedlicher Verkehrsmittel ausbreitet. Geschieht dies eher über Tröpfchen und Aerosole mit dem Menschen als direkte »Quelle«, oder doch über Oberflächen. Zudem betrachteten die Forscher*innen, was eine Exposition mit Viren begünstigt, zum Beispiel die relative Luftfeuchte oder der Umluftbetrieb von Lüftungsanlagen. 
  • Im Arbeitspaket 2 wurden dann (Virenausbreitungs-)Szenarien mittels 3D-Computer-Simulationen mit der vom Fraunhofer IBP entwickelten »Indoor Environment Simulation Suite (IESS)« untersucht. Hierbei wurde das Fahrgastabteil in Zonen unterteilt, die miteinander im Luftaustausch standen. Ausgehend von einem potentiell infektiösen Fahrgast wurde die Ausbreitung der Krankheitserreger im Nahbereich sowie weiter entfernt simuliert. Maßnahmen zur Reduktion der Erregerlast wurden dabei auf ihre lokale und Gesamt-Wirksamkeit untersucht.
  • Im dritten Arbeitspaket wurden diese Erkenntnisse durch Messungen vor Ort und im laufenden Betrieb überprüft. Hier brachte das Fraunhofer IBP seine Kompetenzen in der in situ Probennahme und Hygienemessungen ein, die es u.a. im Luftfahrtbereich erlangt hat. Zur Validierung und Kalibrierung der Messergebnisse wurde ein Zusammenhang zwischen der Aerosolbelastung und der CO2-Konzentration (als Produkt der menschlichen Atmung) hergestellt. Mit mobilen, handgetragenen Messgeräten (sog. »CO2-Logger«) wurden dazu der Kohlenstoffdioxid-Gehalt ermittelt und damit die gegebene Frischluftrate abgeschätzt. Zudem wurden entnommene Luftproben (durch z. B. akkubetriebene Pumpen) im Virenlabor der TU München und des Fraunhofer IBP auf Adeno- und SARS-CoV2-Viren untersucht. Für die Ermittlung der Virenkonzentration auf Oberflächen nahmen die Wissenschaftler*innen Wischproben an stationären Einrichtungen wie beispielsweise Fahrkartenautomaten, Bedienelementen (z. B. Türtaster), Gepäckaufbewahrung, Toiletten und Sitzen (Armlehnen) sowie in Fahrzeugen unter anderem an Klapptischen, Haltestangen oder -griffen oder Bedienelementen (Tür-, Leuchten- und Haltewunschtaster) und analysierten diese im Labor. Alle Proben wurden zu unterschiedlichen Zeitpunkten an verschiedenen Orten entnommen.
     

Risikoabschätzung

Im Endergebnis ermöglichte die Modellierung vielfältigster Situationen mit variablen Größen eine qualitative und quantitative Bewertung der Risiken in den unterschiedlichsten Verkehrsmitteln in Relation zueinander.

Die Forscher*innen konnten relevante Fragen beantworten wie bspw. die Effektivität einer Mund-Nasen-Bedeckung. Zunächst bestimmte man demnach das relative Risiko, wenn sowohl die infizierte Person als auch alle anderen Fahrgäste einen Mund-Nase-Schutz (MNS) tragen. Die nächste Simulation zeigte dann die Situation, wenn alle Insassen ohne MNS z. B. in der Straßenbahn sitzen. Auf diese Weise konnten bestehende Gefahren erkannt und eingestuft, eine Risikobewertung für die verschiedenen relevanten Situationen in den jeweiligen Verkehrsmitteln, an Bahnhöfen und Haltepunkten erarbeitet sowie Handlungsempfehlungen abgeleitet werde. 

Projektpartner

  • Fraunhofer-Institut für Holzforschung WKI
  • Institut für Bahntechnik GmbH (IFB)
  • Technische Universität München – Institut für Virologie & Helmholtz Zentrum München
  • LMU Klinikum IPASUM – Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
  • Alstom S.A. (bis Januar 2021 Bombardier Transportation GmbH - BT)
CO2-Logger im Bus
© Fraunhofer IBP
CO2-Logger im öffentlichen Personenverkehr im Einsatz: Das Messsystem ermittelt den Kohlenstoffdioxid-Gehalt.
Simulation Virusausbreitung im Zug
© Fraunhofer IBP
Simulation der Virusausbreitung in einem Zugabteil.