Anlässlich einer Dienstreise übernachtet der durchschnittliche Hotelgast zwei bis drei Nächte. Um sich in dem fremden Zimmer einzugewöhnen oder gar heimisch zu fühlen, bleibt also kaum Zeit. Das Gehör als Alarm-Organ ist in einer ungewohnten Umgebung instinktiv und permanent im »Überwachungsmodus« und selbst leise Geräusche dringen dadurch oft unangenehm ins Bewusstsein. Schon bevor es sich der Gast abends in seinem Bett gemütlich macht, begegnen ihm zahlreiche, mehr oder weniger störende akustische Phänomene: An vielen Rezeptionen herrscht im halligen Eingangsbereich zur Rush Hour ein lautstarker Andrang, der an sich schon belastend genug ist. Muss mangelnde Sprachverständlichkeit aber noch durch eine gehobene Stimme kompensiert werden, kann ein ruhiger und freundlicher Empfang nicht gelingen, geschweige denn eine gewisse Privatsphäre zur Verständigung über persönliche Belange. Ähnlich kann es dem hungrigen Gast im Hotel-Restaurant ergehen. Hörbare Vitalität und Stimmengewirr können belebend und einladend wirken, nehmen sie aber überhand, ist es mit dem entspannten Abendessen bei dezenter Unterhaltung schnell vorbei. Nach all dem Stress soll nun der Wellness-Bereich für Ausgleich sorgen. Aber auch dort gehen die Erwartungen an Sound Design und akustisch akzeptable Verhaltensregeln weit auseinander. Im Ruhebereich polarisieren einige Fragen: Keine Musik, klassische Musik oder einschläfernde Klänge? Sprechverbot oder erlaubte Gespräche, aber bitte nicht zu laut? Zurück im Zimmer lauern weitere akustische Störquellen. Der Verkehrslärm dringt durch die Fenster oder das eintönige Surren der Klimaanlage fällt in dem sonst ruhigen Zimmer auf. Hinzu kommt der Badlüfter, der lautstark noch eine gefühlte Ewigkeit nachläuft. Spät abends ziehen Neuankömmlinge ihre ratternden Rollkoffer durch den Flur, in dem der einst beruhigende Teppichboden durch einen (schall-) harten Belag ersetzt wurde. Zimmer- und Brandschutztüren fallen donnernd ins Schloss. Zu guter Letzt beginnt im Nachbarzimmer zur Linken eine nicht enden wollende Duschzeremonie, im Zimmer zur Rechten schaut ein anscheinend Schwerhöriger den abendlichen Action-Film und im eigenen Raum springt kurz vor dem Einschlafen der Kompressor der Minibar an.
Der »Sterne-Katalog« für die Hotelbewertung widmet der Akustik maximal 16 von 900 möglichen Punkten – jeweils acht für »angemessene« Fenster und »schallschluckende« Türen. Bucht man also ein 5-Sterne-Hotel ist ruhiger Schlaf noch lange nicht garantiert. Für 95 Prozent der Dienstreisenden gilt, dass sie sich das Hotel selbst aussuchen. Meisten liegen eigene oder von anderen berichtete Erfahrungen der Entscheidung zugrunde. Trotz der Lärmanfälligkeit verkehrsgünstiger Standorte werden Hotels oft genau aufgrund dieser Lage (Innenstadt, Nähe zu Autobahnen, Flughäfen oder Bahnhöfen) bevorzugt. Der Gast vertraut auf wirksame Schallschutzfenster. Mitunter wird dieses Vertrauen mit Schlaflosigkeit bestraft. Ein Problem ist, dass weder schlüssige Anforderungen noch konkrete Ansprüche der Gäste oder aussagekräftige Bestandsdaten zum Thema Hotelakustik vorliegen.
Um die akustische Situation in Hotels umfassend zu untersuchen und zu verbessern, haben Leistner und seine Kollegen eine
Projektinitiative gestartet, die alle Aspekte und Akteure der Hotelakustik einbeziehen soll: Gäste, Hoteliers, Investoren, Verbände, Planer, Hersteller und Ausstatter. »Ziel des Projekts ist eine ganzheitliche akustische Hotelqualität, die sich an den Erwartungen der Hotelgäste orientiert und sich klar quantifizieren, verständlich kommunizieren sowie wirtschaftlich realisieren lässt«, so der Wissenschaftler. Um die Ausgangssituation zu erfassen, stellten die IBP-Forscher grundlegende Fragen wie »Welche akustischen Anforderungen sind bereits definiert?«, »Inwieweit werden sie erfüllt?« oder »Sind diese ›alten‹ akustischen Kriterien überhaupt noch zeitgemäß?«. Zur baulichen und technischen Realisierung guter Hotelakustik sind geeignete Konzepte und Produkte erforderlich und dafür bedarf es neuer Kriterien und Kennwerte.
Aus diesem Grund startete die Gruppe um Leistner die Befragung, um so die konkreten Bedürfnisse der Gäste und Hoteliers zu erfassen und zu bewerten. Zudem werden messtechnische Praxisanalysen durchgeführt sowie Stellenwert und Ausprägung einzelner akustischer Merkmale erfasst. Aus Bestandsuntersuchung und Datenerhebung wird ein praxistaugliches Instrumentarium zur ganzheitlichen akustischen Qualitätsbewertung entwickelt. Dazu gehört zum Beispiel ein »Soundcheck« für Hotels zur Schnell- und Vorbewertung der eigenen akustischen Qualität sowie zur Eingrenzung eines konkreten Handlungsfelds. Viele Hotels setzen heute auf Energieeffizienz, entsprechende Modernisierungsmaßnahmen können natürlich auch für eine akustische Verbesserung genutzt werden. Ein weiteres Element besteht in einem Leitfaden und Experten-Netzwerk zu organisatorischen, baulichen und technischen Gestaltungsmöglichkeiten. Der fachübergreifende Austausch verspricht maßgeschneiderte und zugleich wirtschaftliche Lösungen für gute Hotel-Akustik. Denn letztlich muss auch die Relation von Aufwand und Nutzen im Auge behalten werden, also, welchen Mehrwert gute Akustik dem Hotelier bringt. Natürlich ist die hochwertige akustische Gestaltung von Hotels nicht kostenlos, für die Gäste aber ist sie wertvoll.
Handlungsbedarf gibt es in jedem Fall. »Den akustischen Stresstest bestehen bei weitem nicht alle der mehr als 20.000 Hotels in Deutschland«, resümiert Philip Leistner. Messungen im Bestand zeigen, dass etwa die Wände zwischen Hotelzimmer und Flur viel zu oft nicht einmal dem normativen Mindeststandard für Beherbergungsstätten nach DIN 4109 genügen. Akustische Schwachpunkte finden sich häufig bei Türen, beim Türeinbau oder bei den so genannten Schall-Nebenwegen. Beim horizontalen Trittschall zwischen Gästezimmer und Flur erreichten die gemessenen Pegel Einzahlwerte von bis zu 75 Dezibel. Dabei stehen praktikable Akustik-Lösungen zur Verfügung, zum Beispiel für Wand-, Decken- und Türsysteme mit hoher Schalldämmung, für geräuscharme und zugleich energieeffiziente Lüftung, für leise Sanitär- und Haustechnik sowie für eine entspannende und zugleich kommunikative Raumakustik. Sie dürfen allerdings nicht »unerhört« bleiben.
TaF/PhL