Heizen oder Essen? Eine warme Mahlzeit oder lieber ein geheiztes Haus? »Viele Menschen der untersten Einkommensschicht in Südafrika können sich nur das Notwendigste leisten, da die Lebenshaltungskosten ähnlich hoch sind wie in Deutschland« erklärt der Wissenschaftler Dipl.-Ing. Simon Wössner, Leiter der Arbeitsgruppe Planungswerkzeuge im Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. Den mehr und mehr wachsenden Energiebedarf deckt das Land an der Südspitze Afrikas momentan zu 93 Prozent durch importierte Kohle. Aufgrund dessen ist Südafrika auch einer der größten Erzeuger von Treibhausgasen. Damit steht die afrikanische Regierung vor einer großen Herausforderung: eine stabile, nachhaltige und effiziente Energieversorgung unter Berücksichtigung ökologischer und ökonomischer Faktoren zu sichern. Deutschland, als Vorreiter auf dem Gebiet der Energieforschung, soll die Regenbogennation, wie sie liebevoll genannt wird, nun unterstützen. Neben Know-how hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) das Projekt »MegaCities« als Forschungsaustausch ins Leben gerufen. Ein Teilvorhaben zur nachhaltigen Energieversorgung ist das Projekt »Energy as a key element of sustainable transformation« kurz »EnerKey«. Das Fraunhofer IBP war neben den Universitäten Stuttgart und Johannesburg und den Städten Johannesburg, Ekurhuleni und Pretoria (Tshwane) sowie dem südafrikanischen Energieversorger und mehreren Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) federführend in das Projekt involviert. Das BMBF fördert dieses Vorhaben, das ein Projektvolumen von vier Millionen Euro umfasst.
»Wir versuchen, durch unseren Beitrag im Projekt »EnerKey« die Südafrikaner hinsichtlich des Energiemanagements zu beraten und vor allem das Bewusstsein für den ressourcenschonenden Einsatz von Energie zu sensibilisieren und haben im Rahmen des Projekts das »EnerKey Performance Certificate« entwickelt«, so Simon Wössner. So lässt die Stadt Johannesburg in freiwilliger Initiative die energetische Qualität ihrer eigenen Gebäude zertifizieren und hat damit als erste Stadt Südafrikas einen Energieausweis erhalten. Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP entwickelten die dafür notwendigen Rechenwerkzeuge. Begleitende Maßnahmen wie intensive Schulungen der Gebäudebetreiber vor Ort sowie die Einbindung von Entscheidungsträgern sollen eine flächendeckende Umsetzung in der Zielregion unterstützen. Das Fraunhofer IBP vermittelt auf der einen Seite das nötige Know-how, um den Südafrikanern das Wissen rund um das Thema Energieeffizienz nahe zu bringen, fordert aber auch die politischen Entscheidungsträger auf, die Einführung, Umsetzung und Verwendung von Energieausweisen für öffentliche Gebäude voranzutreiben. Weiterhin sollen diese Daten für Forscher und Entscheidungsträger im Energiemanagementsektor zur Verfügung stehen.
Im EnerKey-Projekt wurden in Südafrika auch sogenannte
»Energy Detectives Clubs« gegründet. Diese Clubs sind vergleichbar mit Arbeitsgemeinschaften (Ags), wie sie an deutschen Schulen zu finden sind. Insbesondere die Soweto Secondary School in Soweto/Johannesburg beteiligt sich aktiv an vielen Aktionen. Die »Energy Detectives Clubs« zielen auf eine Reduzierung des Energieverbrauchs an Schulen und wollen gleichzeitig den Komfort erhöhen. »Die Schüler sollen bereits früh für das Thema Energie sensibilisiert werden. So wurde zum Beispiel eingeführt, dass das Licht in unbenutzten Räumen ausgeschaltet wird, statt es brennen zu lassen. Denn bisher ist es in Südafrika üblich, dass das Licht morgens vom Hausmeister an und am Abend ausgeschaltet wird«, erörtert der Fraunhofer-Energieexperte die Gepflogenheiten in öffentlichen Gebäuden und ergänzt: »Zudem sind die südafrikanischen Schüler auf der Suche nach Sponsoren, um Grünpflanzen für die Klassenzimmer anzuschaffen, um damit das Innenraumklima signifikant zu verbessern«.
Insbesondere Schwellenländer weisen schnellwachsende Städte auf, die mit einem enormen Tempo in kürzester Zeit zu Megacities von morgen mutieren. Die Wissenschafts-Team um Simon Wössner untersuchte die südafrikanische Region um Gauteng, da die Städte Johannesburg, Ekurhuleni und Pretoria jährlich immer näher zu einer Megacity mit rund zehn Millionen Einwohnern zusammen wachsen. Ziel dieses Projekts war, den Energiebedarf der Metropolregion drastisch zu reduzieren und effizienter zu gestalten. »Wir versuchen, eine nachhaltige Strategie zur effizienten Energieentwicklung und –versorgung im Großraum Gauteng zu gewährleisten«, erörtert Wössner. »Allerdings müssen wir sowohl kulturelle als auch politische Einflussfaktoren berücksichtigen«. Neben den sozioökonomischen Faktoren spielen auch Vorort-Gegebenheiten eine große Rolle. »So lässt sich in Südafrika keine europäische Infrastruktur errichten, sondern eine regionale Anpassung an die jeweilige Situation vor Ort ist von hoher Bedeutung«, erklärt Wössner die landesspezifischen Herausforderungen des Vorhabens. Auch das soziale Ungleichgewicht ist in der Regenbogennation ein zunehmendes Problem. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer. Südafrika weist zudem mit den höchsten Gini-Koeffizienten - 2009: 63,1 (im Vergleich: Deutschland 2009: 29,1) auf. Der
Gini-Koeffizient ist eine Maßzahl für die Ungleichheit der Einkommensverteilung. Die Werte des Koeffizienten liegen zwischen 0 und 100 Prozent. Zur Erläuterung: je ungleicher die Verteilung ist, desto größer ist der Unterschied in der Einkommensverteilung.
Mit dem Bau von Häusern verfolgt die afrikanische Regierung die Ziele, zum einen Slums aufzulösen und zum anderen das »Recht auf Wohnung« zu realisieren. Damit soll auch die herrschende Ungleichheit bekämpft werden. Durch das sogenannte Rapid Development Programme (RDP) werden jährlich Häuser gebaut, die meist unter einem Kaufpreis von 9.000 Euro liegen. In 14 Jahren wurden mit Hilfe des RDP rund 2,8 Millionen Einheiten gebaut. Doch ohne Berücksichtigung bauphysikalischer Faktoren sind die Gebäude energetisch nicht optimal. Eine nachhaltige, effiziente und langfristige Energieversorgung ist nur machbar, wenn die gesamte südafrikanische Bevölkerung, d.h. alle der insgesamt vier vorhandenen Einkommensschichten, an einem Strang ziehen und gemeinsam in die Zukunft der Regenbogennation investieren. Gleichwohl unterscheiden sich die Motivationen der Menschen: Die oberen Einkommensschichten verfolgen das Ziel der Reduzierung von CO
2-Emissionen, während die unteren Einkommensschichten die Energieeffizienz nutzen wollen, um sich »das Leben leisten zu können«.
Ein weiteres Problem neben den stark divergierenden Einkommensschichten ist die politische und kulturelle Situation, denn die Transformation ist stark durch das soziopolitische und kulturelle Umfeld geprägt. »So lässt sich eine europäische Technologie nicht so einfach in die südafrikanische Kultur überführen. Nehmen wir das Beispiel Reihenhäuser. In Deutschland sind Reihenhäuser längst etabliert. Spezifische traditionelle Sitten und Gebräuche in Südafrika erschweren jedoch eine Implementierung dieser Bauart. So müssen Forscher neben politischen und gesellschaftlichen auch die kulturellen Bedingungen in ihre Arbeit mit einbinden.
»Besonders liegt uns die nachhaltige Wissensvermittlung im Bereich des Energiemanagements am Herzen. Denn nur durch eine gute Aufklärung der Fachkräfte und Entscheidungsträger vor Ort ist es möglich, gemeinsam das Ziel des Projekts »EnerKey« zu realisieren«, ist Wössner überzeugt. Das Fraunhofer IBP übernimmt durch die Entwicklung der »EnerKey Performance Certificates« eine entscheidende Rolle, denn Energieausweise sind in der Energiewirtschaft ein Schlüsselfaktor, um die CO
2-Emissionen zu senken. Dadurch kann das Fraunhofer-IBP dem Land am Kap einen Hoffnungsschimmer für ein besseres Leben geben – zumindest was die Frage der Energieversorgung betrifft.
(schw)