Im Gegensatz zu zahlreichen Schulkindern und Studierenden weltweit kennen die Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP keine Prüfungsangst. Ganz im Gegenteil, die Forscher stellen Produkte und Dienstleistungen gerne auf den Prüfstand. Leistungsfähige Labore und Prüfeinrichtungen sowie das weltweit größte Freilandversuchsgelände am Standort Holzkirchen ermöglichen komplexe bauphysikalische Untersuchungen. Moderne Labormesstechnik und Berechnungsmethoden begleiten die Entwicklung und optimieren Bauprodukte für den praktischen Einsatz. Untersuchungen in Modellräumen, im Prüffeld und am ausgeführten Objekt dienen der bauphysikalischen Erprobung von Komponenten und Gesamtsystemen für den Neubau wie für den Sanierungsfall. Zu diesen Mess- und Prüfeinrichtungen am Fraunhofer IBP gehört das so genannte Spektrallabor, dessen Herrin Almuth Schade ist.
»Hier bestimmen wir die strahlungsphysikalischen und lichttechnischen Eigenschaften von Bauprodukten, das heißt, die spektralen Kennzahlen, wie die Transmission, die Reflexion und die Absorption sowie den Gesamtenergiedurchlass und die Farbwiedergabe der Produktproben« erklärt die Wissenschaftlerin aus der Abteilung Energieeffizienz und Raumklima. Die Messungen werden zum einen im Bereich der kurzwelligen Solarstrahlung (sichtbares Licht) zwischen 300 nm und 2500 nm und zum anderen im Bereich der langwelligen thermischen Strahlung (Wärmestrahlung) von 2500 nm bis etwa 50000 nm durchgeführt. »Ein hoher Anteil des Energieverbrauchs wird heutzutage für Heizung, Kühlung und die Beleuchtung von Gebäuden verwendet«, erläutert Schade. Energieeinsparungen seien daher in diesem Bereich besonders effektiv. »Eine optimale Nutzung von Tageslicht und ein funktionierender winterlicher wie sommerlicher Wärmeschutz können den Energiebedarf deutlich senken. Dafür werden hocheffiziente Verglasungen und Sonnenschutz z.B. in Form von steuerbaren Jalousien eingesetzt. Das sind auch die Produkte, die wir prüfen. Denn nur wer ihre Kenndaten kennt, kann sie optimal einsetzen.« So bekommt Almuth Schade Gläser, Membranen, Folien, jegliche Arten von Sonnenschutzmaterialien und Anstriche von Herstellern zugeschickt, um sie nach allen relevanten nationalen und internationalen Normen und Standards zu prüfen.
Herzstück ihres Labors sind zwei Messgeräte, die von außen einen eher unscheinbaren Eindruck machen. Für Laien sehen die hochsensiblen Apparaturen aus wie zwei Metallkästen. Das
Hochleistungs-Zweistrahlspektrometer oder UV/VIS/NIR-Spektrometer misst die Strahlung im kurzwelligen Bereich. Dafür werden handliche Probenstücke (5 cm x 5 cm) vor die so genannte
Integrations- oder Ulbricht-Kugel gespannt, durch die sie Wellenlänge für Wellenlänge bestrahlt werden können. »Interessant für unsere Kunden ist, wie viel Licht die jeweilige Probe durchlässt, was reflektiert und wie viel Energie insgesamt durchgelassen wird«, schildert Schade. Auf diese Weise kann die Wissenschaftlerin aber auch die Farbwiedergabe, beispielsweise von Gläsern oder Verglasungen, prüfen und bewerten. »Das ist zum Beispiel für Museen von Interesse. Um die Kunstwerke im optimalen Licht erstrahlen zu lassen, darf das Glas hier beispielsweise nicht zu viel blaues oder zu viel rotes Licht durchlassen.«
Für die Messung von langwelliger, das heißt thermischer Strahlung verwendet Schade ein
FT-IR-Spektrometer. Auch hier werden Proben unterschiedlicher Bauprodukte – vom Glas bis zur Dachbahn – eingespannt und mit langwelliger Strahlung ausgesetzt.
Eine häufige Frage lautet: Wie stark erwärmen sich Oberflächen? »Ein Bootsbauer ist unlängst auf uns zugekommen, der den Lack für das Deck eines seiner Boote prüfen lassen wollte. Seinem Kunden war es wichtig, dass er und seine Gäste sich auf dem Boot nicht die Füße verbrennen – besonders an Tagen mit massiver Sonneneinstrahlung«, erläutert Schade die vielseitigen Beweggründe für Messungen in ihrem Labor.
Produkte und Dienstleistungen müssen nicht nur in Deutschland einer Vielzahl von Normen und Standards entsprechen. Daher beschäftigt sich Schade intensiv mit den Regelwerken für Bauprodukte: »Vor allem als akkreditiertes Prüflabor ist es wichtig, dass meine Kollegen und ich immer auf dem Laufenden sind, wenn es Neuerungen gibt.« Für manche Materialien, so Schade, gebe es jedoch (noch) keine Normen. »Dann messen wir in Anlehnung an bestehende, schließlich sollen unsere Kunden trotzdem zu verwertbaren Daten kommen.« Inzwischen seien neben den deutschen Normen auch die internationalen bzw. weitere nationalen Standards, vor allem aus den USA und Großbritannien, verstärkt in den Fokus gerückt. Hier sind zum Beispiel im Rahmen der Zertifizierung der Nachhaltigkeit und der Gebäudequalität die
LEED- oder BREAM-Zertifizierungen von besonderem Interesse. Auch deutsche Hersteller möchten, dass ihre Produkte diesen Standards entsprechen. Diesem Wunsch kommt das Fraunhofer IBP nach und prüft zusätzlich nach diesen Kriterien.
Die Kennwerte, die Almuth Schade im Spektrallabor für die unterschiedlichsten Bauprodukte ermittelt, fließen zudem in die am Fraunhofer IBP entwickelte
Software WUFI® . Die
Programme dieser Softwarefamilie dienen Planern und Architekten zur Berechnung des gekoppelten Wärme- und Feuchtetransports in Bauteilen.
»Und wenn ein Bauteil nicht so einfach im Labor geprüft werden kann«, erklärt Schade, »haben wir am Fraunhofer IBP zusätzlich die Möglichkeit in situ zu testen«. Das heißt, die Untersuchungen werden »in natürliche Lage« gebracht. »Die Kenndaten von Lamellen sind beispielsweise nicht so leicht mit Hilfe der Spektrometer zu berechnen. Hier bietet sich – sozusagen als Gegenstück zur Messung im Labor – der
kalorimetrische Fassaden- und Dachprüfstand auf dem Freilandversuchsgelände des Fraunhofer IBP am Standort Holzkirchen an.« Darüber hinaus ist das Fraunhofer IBP eine »Bauaufsichtlich anerkannte Stelle« für Prüfung, Überwachung und Zertifizierung von Bauprodukten und Bauarten in Deutschland und Europa.
Einige Prüflabore des Instituts besitzen die flexible Akkreditierung nach DIN EN/ISO/IEC 17025 der
Deutschen Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS). Damit sind sie berechtigt, neue Prüfverfahren zu entwickeln oder vorhandene zu modifizieren. (ate)