Wer schon einmal selbst ein Haus gebaut hat, weiß wie komplex die Thematik ist. Bereits im Vorfeld müssen gefühlt eine Millionen Entscheidungen getroffen werden: Wie soll das Haus aussehen? Welches Baumaterial soll verwendet werden? Wie gut soll es gedämmt sein und womit? Welche Fenster sollen eingesetzt werden? Was für eine Heizung soll in Zukunft für Wärme sorgen? Braucht man eine Lüftungsanlage? Welche Haustechnik eignet sich am besten? Fragen über Fragen. Und viele davon haben einen energetischen Hintergrund. Das stetig wachsende Energiebewusstsein in unserer Gesellschaft geht Hand in Hand mit der von der Politik gesetzlich manifestierten Energiewende. Beides hat Auswirkungen auf die Gebäude, die wir errichten. Mit der zunehmenden Komplexität hat auch Simulationssoftware immer mehr an Bedeutung gewonnen, vor allem auch diejenige zur thermisch-energetischen Gebäudesimulation. »Diese Programme werden von Fachplanern genutzt, um bereits vor dem Bau wichtige Berechnungen zur energetischen Bewertung von Gebäuden durchzuführen«, erklärt Matthias Kersken, Wissenschaftler im Bereich Energieeffizienz am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. Mit dem zunehmenden Einsatz unterschiedlicher Versorgungs- und Speichertechnologien in modernen Gebäuden steige auch die Komplexität der Interaktion der unterschiedlichen Wärmetransport- und Speicherprozesse durch das immer dynamischere Verhalten der Gebäude, so Kersken. Potenzielle Regelungsprobleme und sommerliche Überhitzung seien mögliche Folgen. »Deshalb ist es für die Baubranche essenziell, dass Gebäudesimulationsprogramme in der Lage sind, verlässliche Vorhersagen zu liefern.« Doch woher weiß man, ob die Simulationsergebnisse tatsächlich die Realität abbilden und korrekt sind?
»Derzeit werden Gebäudesimulationsprogramme so validiert, dass ihre Rechenergebnisse untereinander verglichen werden«, schildert der IBP-Wissenschaftler. Diese programmvergleichenden Methoden sind anerkannt und auch sehr erfolgreich, vor allem wenn es darum geht, Programmierfehler ausfindig zu machen. »Es gibt jedoch berechtigte Kritik, dass solchen Tests keine real gemessenen Daten zugrunde liegen. Damit ist auch keine systematische Überprüfung möglich, ob die absolute Höhe der Rechenergebnisse der Wirklichkeit entspricht.« Um das zu ändern, haben sich Kersken und seine Kollegen an dem von der
Internationalen Energieagentur (IEA) ausgeschriebenen Forschungsprogramm IEA ECB ANNEX 58 »Reliable building energy performance characterisation based on full scale dynamic measurement« beteiligt. Der deutsche Beitrag hierzu wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Die Aufgabe der IBP-Forscher innerhalb dieses Projektes war es diese realen Datensätze zu generieren. »Das hört sich einfacher an als es eigentlich ist«, erklärt Kersken. »Man benötigt qualitativ hochwertige Messdatensätze und muss zusätzlich alle Randbedingungen, wie zum Beispiel das Wetter, sämtliche baulichen Details des Gebäudes sowie alle Veränderungen, wie z.B. die Rollladenpositionen, genau erfassen und dokumentieren.« Da trifft es sich gut, dass das Fraunhofer IBP auf seinem Freilandversuchsgelände in der Nähe von München zum Zweck vergleichender Untersuchungen über die so genannten
Zwillingshäuser verfügt. Die identischen Häuser sind beispielhaft für typische deutsche Einfamilienhäuser, zudem sind sie mit einer ausführlichen Mess-, Steuer- und Regeltechnik ausgestattet. Das erlaubt es zum einen alle benötigten Daten genau zu erfassen und zum anderen können zum Vergleich in den beiden identischen Häusern verschiedene Szenarien gefahren werden. Beides ist wichtige Voraussetzung für diesen Aspekt des ANNEX 58.
Bevor jedoch mit den Messungen zur Validierung der elf teilnehmenden Simulationsprogramme begonnen werden konnte, mussten Matthias Kersken und seine Kollegen viel Vorarbeit leisten: beide Zwillingshäuser mussten mit all ihren Spezifikationen genau dokumentiert werden: Standort, Gebäudegeometrie, optische und energetische Verglasungs- und Rahmendaten, Bauteilaufbauten, Eigenschaften der Rollläden, Lüftungs- und Heizkonzept, Bestimmung der Luftdichtheit, Bodenreflexionsgrad sowie Fotos der Häuser von innen und außen. »Der Dokumentationsaufwand beinhaltete zum Beispiel auch, dass wir jede einzelne
Wärmebrücke genau berechnen mussten«, schildert der Wissenschaftler. »Zusätzlich mussten wir selbstverständlich jeden eingesetzten Messsensor genau überprüfen und kalibrieren, damit die gesammelten Daten nicht durch fehlerhafte Messungen verfälscht werden.« Alles in allem dauerte die Vorbereitungszeit etwa zwei Monate, bevor die eigentlichen Messungen im Sommer 2013 starten konnten. In den insgesamt vier Messphasen sowie einer vorangegangenen Initialisierungsphase haben die IBP-Forscher unterschiedliche Szenarien in den Zwillingshäusern gefahren: »Die Teilmodelle der Gebäudesimulationsprogramme, die in der Validierung überprüft werden, beziehen sich im Wesentlichen auf die thermische Speicherung, die Wärmeleitung durch Bauteile und Materialien, die Interaktion zwischen einzelnen Räumen, Lüftung und Infiltration, die solaren Wärmegewinne, die Verschattung, die Heizung und die Berechnung klimatischer Randbedingungen, wie die Solarstrahlungsverteilung auf geneigte Flächen und die langwellige Himmelstemperatur«, erläutert Kersken. »Das haben wir dementsprechend untersucht.« Dazu haben die Sensoren im Sekundentakt Daten gesammelt, die in der am Fraunhofer IBP entwickelten Datenbank
IMEDAS gespeichert wurden. Gleichzeitig lieferte auch die institutseigene
Wetterstation regelmäßig Daten, die ebenfalls in IMEDAS abgelegt wurden.
Nach Abschluss der Messungen haben die IBP-Wissenschaftler den 21 teilnehmenden Validierungsteams aus 13 Organisationen allerdings noch nicht sofort alle Daten zur Verfügung gestellt. »Zunächst ist eine so genannte blinde Validierung durchgeführt worden, in der die Teams nur einen Teil der Informationen bekommen haben«, so Kersken. Auf Grundlage aller zuvor gesammelten Kennwerte der Zwillingshäuser sowie den gemessenen Klimadaten und den experimentellen Spezifikationen sollten die Teams mit ihren Simulationsprogrammen die stündlichen Vorhersagewerte des Heizwärmebedarfs und der Raumlufttemperaturen berechnen. Im Anschluss erhielten die Validierungsteams ebenfalls die vollständigen Messdaten zum Abgleich mit ihren Rechenergebnissen der blinden Validierung, um eventuelle Nutzerfehler auszubessern. »Auf diese Weise lassen sich Nutzer- bzw. Eingabefehlern von programmbasierten Modellabweichungen und Messunsicherheiten trennen«, erklärt Kersken.
Nachdem alle Nutzerfehler annulliert wurden, können nun die so verbleibenden Abweichungen bezüglich der Heizenergie- und Temperaturverläufe den Algorithmen und den Modellannahmen der Simulationsprogramme zugeordnet werden. »Auf diese Weise können wir nach Abschluss der Abgleichsphase Aussagen über die Zuverlässigkeit der untersuchten dynamischen thermisch-energetischen Gebäudesimulationsprogramme treffen«, erläutert Kersken abschließend.
»In einem nächsten Schritt«, sagt Matthias Kersken, »wäre es sicherlich sinnvoll derartige Datensätze auch in einer Untersuchung mit echten Gebäudenutzern zu generieren. Das ist natürlich noch aufwendiger, doch es macht die Programme letztendlich noch präziser und die Vorhersage der Energieeinsparung damit noch realitätsnäher.«
(ate)