Am Vormittag des 24. August des Jahres 79 erschütterten nach Schilderungen von Zeitzeugen Erdstöße die Stadt Pompeji, Gebäude stürzten ein, dann explodierte der Gipfel des Vesuvs und eine riesige schwarze Wolke schoss aus seinem Trichter. Ein damit einhergehende Ascheregen prasselte auf die Stadt und Lava strömte talwärts. Während die direkt unter dem Vesuv gelegene Stadt Herculaneum sogleich unter Schlamm, Lava und Wasserfluten begraben wurde, starben in Pompeji die meisten Menschen an den tödlichen Phosphordämpfen oder wurden von Gesteinsbrocken erschlagen. Am Ende des Tages war Pompeji komplett von einer sechs bis sieben Meter dicken Schicht Asche und Bimsstein bedeckt. So ruhte die Stadt, die in ihrer über siebenhundertjährigen Geschichte von verschiedenen Kulturen des Altertums (Griechen, Samniten, Römer) geprägt wurde, geschützt vor den Einflüssen der Witterung und der über sie hinwegziehenden Geschichte.
Aufgrund der Versiegelung mit Lava und Bimsstein blieb in der antiken Stadt am Golf von Neapel vom Tempel über die Wäscherei bis zum Bordell alles erhalten. Erst um 1600 entdeckte man durch Zufall bei Entwässerungsarbeiten die verschüttete Stadt. Ende des 18. Jahrhunderts erwachte das archäologische Interesse an Pompeji schließlich endgültig. Bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts wurden durch kontinuierliche Grabungen gut zwei Drittel des antiken Stadtgebietes freigelegt. Aber die Ruinen sind in Gefahr. Die Wiederentdeckung Pompejis ist zugleich ihr zweiter Untergang, denn an den Überresten nagt der Zahn der Zeit. Auch der Touristenstrom von jährlich über zweieinhalb Millionen Besuchern hat seine Spuren hinterlassen. Fresken und Mosaike sind den widrigen Umwelt- und Witterungseinflüssen ausgesetzt und teilweise stürzen mühsam freigelegte Gebäude bereits ein. »Das tut uns in der Seele weh. Zwar wird in Pompeji beständig restauriert, doch fordert allein die schiere Größe der Stadt immer wieder neue Anstrengungen, wenn man dauerhaft und nachhaltig im gesamten Gebiet erfolgreich konservatorisch arbeiten will«, erklären der Restaurator Dr. Ralf Kilian, Leiter der Gruppe »Präventive Konservierung und Denkmalpflege« am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP, und der Archäologe Dr. Albrecht Matthaei. Im Jahr 1999 haben sich die beiden als Studierende bei einem Projekt in Pompeji kennengelernt und beschlossen schon damals, gemeinsam etwas für die antike Stadt zu tun. Im Jahr 2012 legten sie schließlich den Grundstein für das »Pompeii Sustainable Preservation Project«.
Gemeinsam mit internationalen Partnern sowie den zuständigen Behörden vor Ort streben die Wissenschaftler eine nachhaltige Lösung für das Weltkulturerbe an. Nicht nur – wie bisher üblich – Archäologen und Restauratoren sollen hier den Ton angeben, sondern auch Naturwissenschaftler und Techniker.
Um das ehrgeizige und umfassende Projekt möglichst bald umsetzen zu können, will das Forschungskonsortium einen für Fraunhofer bislang neuen Weg einschlagen: »Mit einer gezielten Fundraising-Strategie möchten wir Förderer für das Projekt gewinnen, deren Herz ebenfalls für den Erhalt dieses unwiederbringbaren Zeugnisses abendländischer Kultur schlägt«, erklärt die Kampagnenleiterin des Fraunhofer IBP, Nina Martens. »Das Projekt steht und für den Start haben wir vom Vorstand der
Fraunhofer-Gesellschaft eine Anschubfinanzierung erhalten. Nun suchen wir nach Geldgebern, die uns in den kommenden zehn Jahren das für die Umsetzung unseres Vorhabens notwendige Budget in Höhe von zehn Millionen Euro zur Verfügung stellen«. Die Zusammenarbeit unterschiedlicher Institutionen auf internationaler Ebene und die für das genannte Vorhaben notwendigen Mittel sind auf konventionellen Wegen der öffentlich geförderten Forschung oft nicht oder nur sehr schwer umsetzbar. »Die Unterstützung durch Förderer ermöglicht es unserem Projekt die Mittel schnell und unbürokratisch zukommen zu lassen«, so Martens. Als Best Practice dient dabei das Herculaneum Conservation Project. In der 20 Kilometer von Pompeji entfernten Stadt investiert seit zehn Jahren der Amerikaner David Woodley Packard, Sohn des Hewlett-Packard-Mitbegründers David Packard, ehemaliges Aufsichtsratsmitglied des Unternehmens und derzeit Präsident des Packard Humanities Institute, in ein äußerst erfolgreiches Restaurierungsprojekt.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit für den Erhalt
Die Arbeiten sollen nicht nur der Erhaltung der Weltkulturerbestätte Pompeji dienen, sondern ebenso innovative Methoden und Strategien liefern, um weiterem Verfall vorzubeugen. Die neuen Technologien ließen sich dann auch in anderen antiken Stätten einsetzen. Dazu greifen die Forscher auf einen breiten Erfahrungsschatz zurück. Die Leitung des »Pompeii Sustainable Preservation Project« teilen sich das Fraunhofer IBP und der
Lehrstuhl für Restaurierung an der Technischen Universität München. Beteiligt sind auch das an die UNESCO angeschlossene International Center for the Study of the Preservation of Cultural Property, die Universitäten von Pisa und Oxford, das Deutsche Archäologische Institut in Rom und natürlich die zuständigen Behörden vor Ort, vor allem die Sopraintendenza Speciale per i Beni Archeologici di Napoli e Pompei als direkt verantwortliche Einrichtung. »Wir wollen durch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit auf internationalem Niveau ein Projekt auf die Beine stellen, bei dem gleichzeitig die Bausubstanz restauriert, an neuen Restaurierungsmethoden geforscht und der wissenschaftliche Nachwuchs ausgebildet wird«, fasst Kilian die Ziele des ehrgeizigen Projekts zusammen.
Statt sich auf Teilbereiche, wie einzelne Wandgemälde oder Häuser mit aufwendig gestalteten Räumen zu konzentrieren, verfolgen die Partner des »Pompeii Sustainable Preservation Project« einen ganzheitlichen Ansatz. Die Grundstruktur der Stadt Pompeji bildet die sogenannte Insula, ein auf vier Seiten von Straßen umgebener Häuserblock. Eine historisch korrekte und für die Stadt adäquate Restaurierung muss sich an dieser Einheit orientieren und alles sichern, was dort überliefert wurde. Ein möglicher Ansatzpunkt für das Projekt könnte die sogenannte Insula des Kryptoportikus (unterirdische Wandelhalle) sein, die mit einer Fläche von knapp 600 Quadratmetern fast schon selbst eine kleine Stadt in der Stadt ist. Mit ihren sechs unterschiedlich aufwendig ausgestatteten Wohnhäusern, fünf Werkstätten und Läden sowie der größten in Pompeji überlieferten Gerberei vereint die anvisierte Insula jene bau- und sozialhistorischen Besonderheiten, die den einmaligen Quellenwert der Stadt ausmachen. Matthaei schildert die geplante Vorgehensweise folgendermaßen: »Zunächst wird es darum gehen, den heutigen Baubestand zu dokumentieren. Auf dieser Grundlage lassen sich erste Notsicherungen durchführen, bevor wir in weiteren Schritten Stück für Stück die gesamte Insula nach dem neuesten Stand der Technik restaurieren.«
»Die Aufnahme und Restaurierung der Insula ist die Wirbelsäule des Projekts«, präzisiert Kilian. Flankiert werden die Arbeiten von geistes- wie naturwissenschaftlicher Forschungsprojekten. Architekten werden die noch stehenden Mauern dokumentieren und auf dieser Grundlage die Baugeschichte des Hauses schreiben. Schon in der Antike wurden Wohnhäuser oftmals umgebaut; die Spuren, die diese Baumaßnahmen hinterlassen haben, erlauben Einblicke in die Lebensweise der Hausbesitzer. Archäologen planen, mit kleineren Grabungen im Inneren der Häuser nach Spuren von Vorgängerbesiedlung zu suchen und zu ergründen, was auf der Grundfläche der Insula passierte, bevor diese dort errichtet wurde. Sozialhistoriker werden die in den Gebäuden gefundenen Objekte und Inschriften untersuchen, um zu zeigen wie der Wohnraum auf Arme und Reiche, Männer und Frauen, freie Bürger, Handwerker und Sklaven verteilt war. Gleichzeitig wird die Restaurierungsgeschichte von Restauratoren dokumentiert, um auf diese Weise zu überprüfen, wie sich die einzelnen Eingriffe bei den Ausgrabungen bewährt haben.
Parallel dazu werden Forschungen durchgeführt, die zur Entwicklung neuer Technologien beitragen werden und damit zur Verbesserung der Konservierungsmethoden sowie des Erhalts von Denkmälern. Bei diesem Projekt spielen allerdings nicht nur technischen Fragestellungen und Entwicklungen eine Rolle. So werden auch Biologen in Pompeji arbeiten und erforschen, wie man das Areal am besten begrünt, um beispielsweise unerwünschten Bewuchs durch Kletterpflanzen zu verringern. Die für die Bausubstanz schädlichen Herbizide, wie sie bisher in Pompeji eingesetzt werden, wären dann kaum noch nötig.
Die ganzjährige Arbeit der Wissenschaftler und Praktiker wird durch eine Sommerakademie ergänzt. Diese wendet sich ebenso an herausragende restaurierungswissenschaftliche Nachwuchskräfte wie an Restauratoren, die sich bisher nicht mit der römischen Antike beschäftigt haben. Unter sachkundiger Anleitung werden Arbeitsmethoden vermittelt, die von den Teilnehmern später in eigenen Projekten angewendet werden können. Pompeji-Kurse für Schulen aus der Vesuv-Region und internationale Partnerschulen sollen Begeisterung und Verantwortungsbewusstsein für das Kulturerbe bei zukünftigen Generationen wecken.
Die umfassenden Arbeiten sollen nicht nur der Erhaltung der Weltkulturerbestätte Pompeji dienen, sondern ebenso neue Technologien liefern, die dann auch international bei anderen antiken Stätten angewandt werden können. Die Projektpartner sind sich einig: »Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass Pompeji künftig wieder eine ebenso zentrale wie positive Rolle in der internationalen Diskussion über den Erhalt und die Erschließung von Kulturdenkmälern spielt.«
(ate/jae)