Autos müssen erst »gefesselt« werden, bevor die Akustik-Ingenieure des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP ihre vielfältigen Versuche und akustischen Messungen auf dem Allrad-Rollenprüfstand durchführen können. Diese Vorbereitungen können langwierig sein, jedoch haben die Wissenschaftler sich etwas einfallen lassen. Mit Hilfe von Luftkissen wird das Fahrzeug nach der Fixierung auf einer mobilen Palette vom oder zum Prüfstand »geflogen«. Diese wechselbaren Abdeckungen ermöglichen den schnellen Fahrzeugwechsel und damit eine effiziente Nutzung des Prüfstands, denn sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind oder unterbrochen werden müssen, kann ein anderer Prüfling mittels Palette auf der Rolle platziert werden. Im Laborgebäude für Fahrzeugakustik fallen jedoch nicht nur Automarken wie Porsche oder Elektroautos wie Tesla ins Auge, sondern Eindruck machen auch die meterlangen, sich gegenüberliegenden Mikrofonreihen. Schnurgerade und akkurat ausgerichtet lassen sie erahnen, dass in diesem Labor akustische Forschung auf hohem Niveau betrieben wird. Neben Entwicklungen in der Fahrzeugakustik werden im Allrad-Rollenprüfstand unter Leitung von Dr. Peter Brandstätt auch Präzisionsmessungen und Vergleichstests durchgeführt, die beispielsweise für die Zulassung eines Neufahrzeuges notwendig sind. Noch im Entwicklungsstadium kann geprüft werden, ob Vorschriften eingehalten werden. Frühzeitiges Gegensteuern erspart den Autobauern unter Umständen hohe Kosten. Je nach Anforderung lassen sich für diese Prüfungen die Rollen mit unterschiedlichen Belägen wie einem »safty walk» – das ist ein glatter Straßenbelag – oder einem Rauasphalt bestücken.
Die Reduzierung und Optimierung des Geräuschpegels in und von Fahrzeugen ist eine ständige Entwicklungsaufgabe. Wie kann beispielsweise ein niedriger Geräuschpegel im Fahrzeuginnenraum und eine Verbesserung der Sprachverständlichkeit bei Gesprächen oder für Mobiltelefone erreicht werden? Auch Rollgeräusche, die bei niedrigen Geschwindigkeiten ab 40 km/h zu hören sind, stehen im Fokus der Forschungsarbeiten. Die Raumauskleidung der Wände, Decke und Türen der gesamten Halle offenbart die gesamte Raffinesse dieses besonderen Laborgebäudes. So genannte Breitband-Kompaktabsorber, Verbundplatten-Resonatoren und asymmetrisch strukturierte Schaumelemente schlucken den Schall, so dass sich vergleichbare Bedingungen wie im Freien einstellen. Besonders ihre geringe Tiefe zeichnet die Absorber aus, denn untereinander kombiniert können trotz der schlanken Bauweise auch tiefe Töne mit einem unteren Grenzbereich von 40 Hz gemessen werden, die für einen realitätsnahen Fahrbetrieb von Fahrzeugen Voraussetzung sind. Um die Außengeräusche, die ein Fahrzeug bei der Vorbeifahrt an einem bestimmten Punkt erzeugt, exakt simulieren zu können, muss eine Halle mindestens 25 m Länge und zwei Mikrofon-Arrays im Abstand von 15 m in der Breite haben. »Im dicht bebauten Institutszentrum noch einen Platz für ein Laborgebäude mit diesen Dimensionen zu finden, war nicht einfach. Mit dem renommierten Automobilhersteller Porsche als Partner ist es uns gelungen, den Bau zu realisieren«, sagt Brandstätt nicht ohne Stolz. Für die simulierte Vorbeifahrt, so lautet der Fachbegriff für diese Versuche, kommt eine akustisch völlig neutrale Außengeräuschpalette zum Einsatz, die, wenn sie nicht gebraucht wird, automatisch unter dem Hallendach verschwindet. Und die Wissenschaftler wissen es zu schätzen, dass ihre Versuche direkt im Laborgebäude unabhängig von Witterungseinflüssen stattfinden können.
»Wir fahren vor« lautete denn auch das Motto der Akustiker, die mit diesem Versuchsfeld ihren mehr als 20 speziellen Akustiklabors im Jahre 2008 ein weiteres Unikat hinzufügten. Ein Blick auf die technischen Daten des Prüfstandes liefert die Gründe für seine Einzigartigkeit. »Wir können mit unserer Allrad-Rolle eine Beschleunigung von 1 g, also 10 m/s² erreichen; mit realen Fahrzeugen kommen wir gerade mal auf die Hälfte«, so Brandstätt. »Wir haben also noch Luft nach oben und wir sind auch optimal für Tests mit Hybrid- oder Elektroautos gerüstet. Im Unterschied zu Fahrzeugen mit konventionellen Antrieben startet beispielsweise ein Elektroauto mit voller Kraft, was unser Prüfstand jedoch ohne Probleme bewältigen kann«. »Wir wollen unseren Partnern und Kunden anspruchsvolle akustische Systemlösungen für den Fahrzeugbereich bieten. An den Innenraum werden dabei bauphysikalische Ansprüche gestellt, die wir auch von Räumen in Gebäuden kennen. Er soll ein behagliches Umfeld bieten, frei von störenden Geräuschen sein und die Leistungsfähigkeit des Fahrers nicht einschränken«, erklärt Brandstätt. Mit modernen Methoden der Geräuschanalyse und des Sound Design bestimmen und analysieren die Fraunhofer-Forscher selbst kleinste Geräuschdetails von einzelnen Fahrzeugteilen. Unerwünschtes Klappern oder Brummen im Fahrzeug lässt sich so vermeiden, ein sattes Geräusch beim Öffnen und Schließen der Autotüren wiederum hervorheben. Die richtige Balance aus Vermeiden und Betonen ist es, mit der Käufer zum Beispiel Wertigkeit und Qualität assoziieren. Im Sinne der Sound Quality sprechen Fachleute deshalb bei Luxuslimousinen auch vom »rollenden Sofa« oder bei Sportwagen vom kraftvollen Klangcharakter.
Eine ganze Generation von mikroperforierten Akustik-Bauteilen haben die Stuttgarter Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit Industriepartnern bis zu marktreifen Produkten bereits entwickelt. Diese werden jetzt auch für eine Optimierung der Akustik in Fahrzeugen angewandt. Erfolge bei den ursprünglich dominierenden Motor- und Strömungsgeräuschen haben zur Folge, dass vorher weniger beachtete Geräuschkomponenten in den Vordergrund treten. Vor allem Rollgeräusche bei niedrigen Geschwindigkeiten ab 40 km/h stehen im Fokus. Durch den Kontakt zwischen Rad und Straße entstehen Resonanzen im Lufthohlraum des Reifens. Dies führt bei üblichen Reifengrößen zu einer messbaren Pegelerhöhung im Fahrzeug bei einer Frequenz von ca. 200 Hz. Dieses Geräusch wird als unangenehm und störend empfunden. Ein Schallabsorber, der auf den Lufthohlraum im Reifen wirkt, könnte Verbesserungen erzielen. Allerdings stoßen dort faserige Materialien an ihre Grenzen, da diese Stoffe beispielsweise die regelmäßigen Reifenwechsel nicht dauerhaft überstehen würden. Weiterhin darf der Schallabsorber weder das Fahrverhalten noch die Fahrsicherheit beeinträchtigen.
Wissenschaftler der Gruppe Fahrzeugakustik entwickelten daher die Idee, einen robusten, rein metallischen Resonator mit Mikroperforation in eine Felge zu integrieren. Zusätzlich platzierten die Forscher einen mikroperforierten Schallabsorber direkt im Reifenhohlraum. Eine Luftkammer in der Felge sorgt für das akustisch unverzichtbare Volumen. Die Fahrzeugmessungen erfolgten auf dem Akustik-Rollenprüfstand des Fraunhofer IBP mit montierten Belag-Schalen zur Simulation eines Rauasphalts mit erhöhter Geräuschanregung. In allen Fällen konnte im Vergleich zu Rädern mit Standardfelge eine Geräuschminderung von 5 dB erzielt werden. Nachdem das Prinzip funktioniert, geht es jetzt an die Aufgabe, geeignete Wege für die Fertigung der Mikroperforation zu finden. »Unsere langjährige Expertise auf dem Gebiet der Absorberentwicklung kam uns hier zugute. Es zeigt sich immer wieder, dass sich grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse häufig in verschiedenen Bereichen in die Praxis überführen lassen«, ist Brandstätt überzeugt.
Peter Brandstätt sieht optimistisch in die Zukunft. Derzeit finden vergleichende Untersuchungen mit verschiedenen Prüfstrecken im Freien statt. Das Ziel dabei ist, die Prüfung künftig auf derartigen Prüfständen zu ermöglichen. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Arbeiten der Normungsgruppe ISO TC 43/SC1 ein. Wie das Beispiel der Felge zeigt, stehen Forschung und Entwicklung weiterhin hoch im Kurs. Er sieht auch Chancen, tiefer in die Fahrzeugtechnik einzusteigen. Mit Partnern möchte Brandstätt Projekte verstärkt bilateral angehen und dabei Lösungen erarbeiten, bei denen alle Beteiligten von zusätzlichem Know-how profitieren.
(schw)