Mein Energieverbrauch, meine Stromrechnung, mein Stadtlabor

Forschung im Fokus Oktober 2014

Saubere Luft, sanierte Bestandsgebäude und ansprechende Neubauarchitektur, geringer Energieverbrauch: Menschen wünschen sich ein von Nachhaltigkeit geprägtes Lebensumfeld, das vielfältige Lebensstile und -entwürfe zulässt und sie gleichzeitig in notwendige Veränderungs- und Anpassungsprozesse einbindet. Dies gilt umso mehr, betrifft es ihre Heimat, den Ort ihrer Wurzeln und Sozialisation und für viele Inbegriff für Geborgenheit, Identität und Sicherheit. Derzeit erleben wir einen rasanten Wandel der Städte. Globale Trends wie der Klima- oder der lokale Strukturwandel haben Entwurf und Planung städtischer Entwicklungen in den vergangenen Jahren entscheidend verändert. Besonders hierzulande werden intensiv Bauten, seien es Wohn- und Verwaltungsgebäude, Schulen oder Museen, energetisch auf Vordermann gebracht. Doch stehen mittlerweile nicht mehr nur einzelne Gebäude im Mittelpunkt, sondern ganze Städte rücken verstärkt in den Fokus von Energieeffizienz und Nachhaltigkeit. Die Planung und Umsetzung zukunftsfähiger, grüner Stadtquartiere fordert Politik, Forschung, Wirtschaft sowie die gesamte Bau- und Immobilienbranche gleichermaßen. »An guten energetischen Konzepten und Ansatzpunkten mangelt es nicht, wenn es jedoch an die praktische Umsetzung geht, gestaltet sich dies auf Stadtebene immer noch recht schwierig«, schildert Dipl.-Ing. Heike Erhorn-Kluttig, ihre Erfahrungen. Seit vielen Jahren leitet die Expertin die Gruppe Gebäude - Quartier - Stadt am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. »Meistens lassen sich kommunale Strategien oder nachhaltige Entwicklungskonzepte für eine Stadt nicht in einem Zug und flächendeckend verwirklichen, sondern müssen punktuell und zunächst auf Quartiersebene bezogen angegangen werden. Es gibt keine Standardlösungen, weshalb wirtschaftliche Umsetzungsstrategien für jeden Einzelfall neu zu entwickeln sind«. Für eine Umgestaltung in lebenswerte und nachhaltige Quartiere ist es von Bedeutung, die Einzigartigkeit eines Standorts und seine Stärken zu erkennen, und diese mit dem Potenzial von Entwicklungschancen in das Gesamtgefüge Stadt einzubetten. Dabei müssen die Verantwortlichen gegenseitige Beeinflussungen und Abhängigkeiten zwischen den Systemen Gebäude, Block, Quartier, Stadt und Region beachten.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) verfolgt das Ziel, den Energieverbrauch Deutschlands bis 2050 um 80 Prozent zu senken und die Energieproduktivität (Verhältnis Bruttoinlandsprodukt/Primärenergieverbrauch) bis 2020 zu verdoppeln. In diesem Zusammenhang fördert das BMWi die Energieeffiziente Stadt (EnEff:Stadt). Als kompetenter Partner ist die Abteilung Energieeffizienz und Raumklima des Fraunhofer IBP seit vielen Jahren Anlaufstelle für Ministerien, Gemeinden, Energieversorger, Wohnungsbaugesellschaften und Investoren, wenn es darum geht, Einsparmöglichkeiten beim Energieverbrauch zu erforschen und zu erproben. Die Energieexperten forschen an innovativen Technologien und integralen Konzepten, die unter wirtschaftlichen Randbedingungen und im praktischen Einsatz ein Höchstmaß an Energieeinsparung speziell auf Quartiersebene erzielen. Übertragbare Lösungen mit hoher Signalwirkung stehen dabei im Vordergrund.
Seit vielen Jahren ist die Ingenieurin Heike Erhorn-Kluttig mit ihrem Team in dieses Projekt involviert. Die Wissenschaftlerin erforscht Strategien und erarbeitet Handlungsempfehlungen, wie städtische Siedlungen energieeffizienter werden können. Dabei greift sie unter anderem zurück auf Erfahrungen aus zahlreichen nationalen und internationalen Vorhaben, sowie auf beispielhafte Projekte aus der Praxis. Die Definition von Kennzahlen und Bewertungskriterien, welche wirtschaftliche und ökologische Prioritäten aufzeigen, gehört dabei ebenso zum Aufgabenrepertoire ihrer Forschungsarbeit wie die stetige Weiterentwicklung von Planungshilfen für Entscheider von Kommunen und Investoren.
Quartiere sind das Bindeglied zwischen Einzelgebäuden und dem Gesamtsystem Stadt. Um Entwicklungschancen für eine energetische Quartiersplanung gezielt aufzeigen zu können, teilen Wissenschaftler diese Quartiere in verschiedene Siedlungstypen ein. Sie unterscheiden sich durch: Art der Bebauung, Anordnung der Gebäude, Erschließung durch Straßen und die Anzahl, Größe und Nutzung von Wohn- und Nichtwohngebäude und viele weitere Parameter. Als Hauptautorin hat Heike Erhorn-Kluttig im Rahmen des EnEff:Stadt-Projekts das Fachbuch »Energetische Quartiersplanung« verfasst, das vorhandene Grundlagen für kommunale Energieversorgungskonzepte, verfügbare Technologien im Gebäudebereich sowie unterschiedliche Energieversorgungsarten thematisiert. Planer finden in diesem Buch nützliche und unterstützende Informationen für ihre tägliche Arbeit. Sie können sich beispielsweise informieren, welche gesetzlichen Anforderungen aktuell gelten, wie Siedlungstypen definiert sind oder welche Planungswerkzeuge zur Verfügung stehen. Manchmal ist es sinnvoll, einzelne standortgeprägte Maßnahmen so zu kombinieren, dass sie zu höheren Einsparungen durch günstigere Kosten führen. Dies kann zum Beispiel die Anbindung des Quartiers an die Nahwärmeversorgung sein im Gegensatz zum Heizkessel in jedem einzelnen Gebäude. Oft geht es auch darum, eine ganze Schar von Entscheidungsträgern mit unterschiedlichen Interessen und Zielsetzungen unter einen Hut zu bringen, um Einsparpotenziale nicht ungenutzt zu lassen. Eine Vielzahl von Wechselwirkungen besteht zwischen einzelnen Effizienzmaßnahmen, beispielsweise eine Passivhaussanierung in fernwärmeversorgten Gebieten. »Um die ehrgeizigen Ziele der Akteure aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft umzusetzen, müssen alle an einem Strang ziehen. Dies gilt für Stadtplaner ebenso wie für lokale Politiker, die bei Entwicklungskonzepten ein gewichtiges Wort mitzureden haben und oft divergierende Ziele verfolgen. Den Wünschen aller Beteiligten nachzukommen und dabei gleichzeitig die Potenziale für mehr Energieeffizienz zu berücksichtigen, bleibt bei der Forschung in Stadtquartieren die große Kunst«, bringt es Erhorn-Kluttig auf den Punkt.
Alt eingesessene Stadtviertel zu sanieren ist nicht nur aus architektonischer Sicht eine Herausforderung. Auch die Bewohner hinter der Fassade müssen Berücksichtigung finden. »Wir dürfen die Menschen bei all diesen Vorhaben nicht aus den Augen verlieren. Ich erachte es für essenziell, sie bei meinen Projekten mitzunehmen. Neuerungen bedeuten meist auch weitreichende Einschnitte für die Betroffenen in ihr gewohntes Leben. Ich möchte ihnen die Unsicherheit nehmen, sie überzeugen und vielleicht kann ich den einen oder anderen sogar begeistern. Dies ist ein zentraler Punkt meiner Arbeit«, erläutert Heike Erhorn-Kluttig.
Den gestellten Anforderungen in hohem Maße zu genügen, haben sich die Beteiligten in der Forschungsinitiative EnEff:Stadt zur Aufgabe gemacht. Was zeichnet nun diese Initiative im Besonderen aus? »Es geht um die Erarbeitung von Bewertungskriterien und Planungshilfen für Kommunen, aber auch für weitere Akteure wie Stadtwerke und Wohnungswirtschaft, basierend auf konkreten realisierten Projekten«, erklärt Heike Erhorn-Kluttig. Deshalb ist es wichtig, gerade dort anzusetzen, wo der Transfer von Know-how stattfindet, um Erfahrungen weitergeben zu können. Hierzu wurden in jedem Vorhaben Forschungsteams eingerichtet. Zudem finden halbjährliche Arbeitstreffen der Projektleiter statt. »Wissen bereitzustellen und die Öffentlichkeit über Ergebnisse auf dem Laufenden zu halten, ist ein weiteres herausragendes Merkmal der Initiative EnEff:Stadt«, unterstreicht die Forscherin.
In abgegrenzten Quartieren werden derzeit Forschungsvorhaben durchgeführt, bei denen die Stellschrauben zur Einsparung und Integration von erneuerbaren Energien untersucht werden. Planungshilfsmittel zur vereinfachten Erstellung kommunaler Konzepte kommen dabei zum Einsatz. Softwaretools für die Auslegung und Implementierung innovativer Technologien, neue Messtechnik, Energiemanagement- und Qualitätssicherungssysteme sowie Modelle für die Energie- und CO 2-Bilanzierung sind weitere Eckpunkte der Forschungsarbeit. Für die erste Planungsphase hat das Fraunhofer IBP ein Softwarepaket entwickelt, welches Stadtplaner, Umweltbeauftragte, Investoren und Wohnungsbaugesellschaften bei der Entwicklung eines energieeffizienten Stadtquartiers im Neubau oder als Sanierungsprojekt unterstützt. Die Software »Energiekonzept-Berater für Stadtquartiere« ermöglicht bereits zu einem frühen Zeitpunkt eine Vorhersage über die Effizienz des Projektes. Somit erhalten Planer und Investoren grundlegende Informationen, noch bevor die aufwändige Detailplanung und Projektierung einsetzt. Die dazugehörige Broschüre erläutert den besonderen Ansatz des Tools genauer.
»Eine Entwicklung wie die Energiewende aktiv mitzugestalten, ist für mich und meine Arbeitsgruppe etwas ganz Besonderes«, sagt Heike Erhorn-Kluttig. »Quartiere bieten viel mehr Handlungsmöglichkeiten als Einzelobjekte, sind jedoch auch komplexere Systeme. Kommunen müssen die Stadtplanung und Quartiersentwicklung deshalb aktiver und vorausschauender gestalten. Die enormen Potenziale an Energieeinsparung, Effizienzverbesserung und Nutzung erneuerbarer Energien, die wir auf Quartiersebene erzielt haben, auch auf Städte als Ganzes zu übertragen, wird der nächste Meilenstein in unserer Forschungsarbeit«.
(schw)

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