Wenn am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP der Blitz einschlägt, ist das nichts Ungewöhnliches. Seit kurzem passiert es sogar relativ oft, vor allem wenn Dr. Volker Thome sein Büro in der Abteilung Bauchemie, -biologie, Hygiene verlässt und in seinem neuen Labor arbeitet. Denn: Volker Thome ist Herr über die so genannte elektrodynamische Fragmentierungsanlage, die für eine Reihe neuer Forschungsprojekte der Forschungsgruppe Betontechnologie und funktionale Baustoffe eingesetzt wird. Sie ist es auch, die Blitze produziert – zum Glück nur im Labor, unter kontrollierten Umständen. Wozu der Wissenschaftler diese Blitze generiert und worauf er sie abschießt, erklärt er folgendermaßen: »Wir arbeiten an der Entwicklung von innovativen Recyclingverfahren für Altbeton, faserverstärkte Kunststoffe sowie Müllverbrennungsschlacke. Die Fragmentierungsanlage ist in der Lage verschiedenste Materialien in ihre Einzelbestandteile zu zerlegen, ohne sie dabei zu zerstören.«
Und hier kommt die Fragmentierungsanlage ins Spiel, die seit wenigen Wochen am Fraunhofer IBP steht. Der Blitz bzw. der Hochleistungsimpuls, den die Maschine generiert, kann die Einzelbestandteile von Beton – Zuschläge und Zementstein – selektiv voneinander trennen. »Alle Nichtleiter besitzen eine elektrische Durchschlagsfestigkeit gegenüber elektrischen Impulsen«, erklärt Thome die Funktionsweise der Anlage. »Grundsätzlich bevorzugen es Blitze durch die Luft oder Wasser zu verlaufen und nicht durch einen Festkörper. Diese elektrische Durchschlagsfestigkeit ist jedoch keine konstante Größe, sondern abhängig von der Impulsdauer.« Gegenüber Impulsen mit einer Dauer unterhalb von 500 Nanosekunden besitzt Wasser eine höhere elektrische Durchschlagsfestigkeit als die meisten Festkörper. Diese Erkenntnis der russischen Wissenschaftler aus den 40ern hat man sich bei der Fragmentierungsanlage zunutze gemacht. Festkörper, die man in ihre Einzelteile zerlegen will, liegen deshalb unter Wasser. Die elektrischen Impulse werden so zwangsweise in den Festkörper geleitet, die Physik besorgt den Rest: »Wenn der Impuls auf das Gestein, in dem Fall auf den Beton trifft, dann suchen sich die Vorentladungen immer den Weg des geringsten Widerstands – entlang von Korngrenzen«, so der Mineraloge. »Das kann man sich vorstellen wie in einer Gewitterwolke, auch hier richten sich nicht alle Blitze gen Erde.« Diese Vorentladungen schwächen das Gestein entlang seiner Phasengrenzen. Die erste Vorentladung, welche die Erdung erreicht, führt zu einem elektrischen Durchschlag und erzeugt dadurch Druckwellen, welche die einzelnen Betonbestandteile schließlich voneinander trennen, das Material wird praktisch »auseinandergezogen«. IBP-Wissenschaftler Thome ergänzt: »Die Kraft dieser Druckwelle ist vergleichbar mit der einer TNT-Explosion.«
Im Gegensatz zu der üblichen Zerkleinerung von Altbeton durch herkömmliche Mahlverfahren ist diese Methode selektiv und staubfrei. Die Wiederverwertbarkeit der Produkte aus aufgetrenntem Altbeton wird derzeit in einem nationalen Projekt am Fraunhofer IBP untersucht. Das Recycling von Altbeton ist aber nicht das einzige Forschungsprojekt, das mit Hilfe der elektrodynamischen Fragmentierungsanlage vorangetrieben werden soll. Auch sogenannte karbonfaserverstärkte Kunststoffe könnten auf diese Weise recycelt werden. Bislang werden diese nämlich nur zermahlen oder thermisch behandelt: »Das ist sehr aufwändig und kann die Karbonfasern zerstören. Zudem ist die dafür erforderliche Mahlenergie sehr hoch und die Abnutzung der Mahlwerkzeuge führt zu Kontaminationen des Mahlgutes «, schildert Thome die Nachteile dieser Verwertungsprozesse. Die selektive Trennung durch die elektrodynamische Fragmentierung wäre auch in diesem Fall eine vielversprechende Alternative zu herkömmlichen Methoden.
Ein weiteres Projekt, das das Team um Volker Thome verfolgen wird, ist die Aufbereitung von Müllverbrennungsschlacken (MVA-Schlacken). Diese enthalten Schmelzprodukte, welche ähnliche Eigenschaften wie Zement besitzen und könnten deshalb als Baustoff genutzt werden. Aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung ist der Einsatz von MVA-Schlacken aber nur sehr bedingt möglich. Könnten die Schlacken jedoch so aufbereitet werden, dass man die Schmelzprodukte von den unerwünschten Bestandteilen trennt, könnte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. »Zum einen würde man einen Ersatzbaustoff und zum anderen beispielsweise wertvolle Nichteisenmetalle erhalten. Bislang existiert kein ökonomisches Verfahren, um MVA-Schlacken derart aufzubereiten. Doch die Zeit drängt, denn in zirka 20 Jahren wird der Deponieraum in Deutschland für MVA-Schlacken zur Neige gehen«, erklärt Thome die drängende Entsorgungsproblematik. »Somit würde eine sinnvolle Aufbereitung von MVA-Schlacken ebenfalls zur Ressourcenschonung und Vermeidung von Deponiefläche beitragen.«
Und auch hier erschöpft sich die Vorstellungskraft der Forscher am Fraunhofer IBP noch nicht. Volker Thome: »Wir möchten noch viele Projekte im Rahmen der Forschung mit der Fragmentierungsanlage verwirklichen, allerdings stecken noch zahlreiche Einzelprozesse im Entwicklungsstadium. Die chemischen Prozesse, welche bei der Einwirkung von Unterwasserentladungen auf Festkörper entstehen können, sind noch relativ unerforscht und führen zum Teil zu überraschenden Ergebnissen, was die Weiterentwicklung dieses Verfahrens umso interessanter macht.«