Fraunhofer IBP präsentiert Lösungen für mehr Nachhaltigkeit im Luftfahrtbereich
Die internationale Luftfahrtbranche verzeichnet seit Jahren ein kontinuierliches Wachstum. Für 2014 wird erwartet, dass die Profite der Fluggesellschaften auf 18,7 Milliarden Dollar ansteigen – 2013 waren es etwa 12,9 Milliarden Dollar. Das liegt nicht zuletzt daran, dass auch die Passagierzahlen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsen sind. In Deutschland starteten oder landeten 2013 insgesamt 180,7 Millionen Menschen. Weltweit ist die Tendenz steigend. Prognosen sagen daher ein deutliches Anwachsen der aktiven Flotte voraus. Sind derzeit weltweit rund 17.740 Passagierflieger unterwegs, werden es bis 2032 voraussichtlich 36.560 Flugzeuge sein. Neben der Ökonomie werden ökologische Aspekte noch stärker als bisher in den Vordergrund treten. Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP arbeitet gemeinsam mit zahlreichen weiteren Fraunhofer-Instituten sowie Industriepartnern intensiv an Lösungen für die Herausforderungen, die diese »Ökolonomie« mit sich bringt. Aktuelle Entwicklungen für die Luftfahrtindustrie präsentieren die Wissenschaftler von 20. bis 25. Mai auf der ILA Berlin Airshow (Halle 6, Stand 6212).
2013 stellte das letzte Jahr vor dem Abschluss der ersten Auflage der europäischen Technologieinitiative »Clean Sky« dar. Die Fortsetzung steht mit »Clean Sky 2« bereits in den Startlöchern und wird ab Mitte des Jahres anlaufen. Auch hier wird sich das Fraunhofer IBP wieder maßgeblich mit seinen Kernkompetenzen aus den Bereichen Akustik, Bauchemie, Baubiologie und Hygiene sowie Ganzheitliche Bilanzierung und Raumklima einbringen.
Testflüge am Boden
Besonders der Bereich »eco DESIGN®« hat die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten des Fraunhofer IBP im Luftfahrtbereich in den vergangenen Jahren geprägt. An seinem Standort in Valley bei Holzkirchen verfügt das Fraunhofer IBP über eine weltweit einmalige Testeinrichtung, die »Flight Test Facility« (FTF). In einer Niederdruckkammer befindet sich ein originales Flugzeugsegment mit rund 15 Meter Länge und Platz für bis zu 80 Probanden. Neben Untersuchungen zum Kabinenklima wird auch das Flugzeug als Gesamtsystem erforscht. Dabei werden beispielsweise Cockpit, Passagierkabine, Avionik und Frachtraum unter energetischen Aspekten und Nutzungsanforderungen betrachtet.
Zudem wurde im November 2013 in dem Fluglabor der thermische Prüfstand »Ground Thermal Test Bench« offiziell in Betrieb genommen und eröffnet den Wissenschaftlern und ihren Partnern aus der Industrie zusätzliche Forschungsfelder. Bereits heute regelt die Elektronik in modernen Verkehrsflugzeugen zahlreiche Funktionen- und Steuereinheiten. In Zukunft sollen bislang hydraulische Systeme immer mehr durch elektrische ersetzt werden. Das bedeutet zwar eine Reduktion von Gewicht und damit eine Einsparung von Treibstoff und der damit verbundenen Emissionen, auf der anderen Seite erzeugt mehr Elektronik mehr Wärme. Ihre unproblematische Verteilung und Ableitung gilt es zu erforschen und zu optimieren. Der thermische Prüfstand spielt eine wichtige Rolle bei der Simulation und Prüfung neuer Systeme unter thermischen Gesichtspunkten. Auch hier ist ein originaler Flugzeugrumpf im Einsatz, der – in drei typische Bereiche des Flugzeugs (Cockpit, Kabine und Heck) aufgeteilt – verschiedenste thermische Messungen ermöglicht. Die »Ground Thermal Test Bench« dient somit der Untersuchung, dem Vergleich und der Optimierung verschiedenster Avioniksysteme unter Realbedingungen im Labor.
Mehr thermischer Komfort dank DressMAN 2.0
Forscher des Fraunhofer IBP beschäftigen sich gezielt mit Technologien, die den Komfort für Fluggäste optimieren sollen. Im Mittelpunkt steht das Raumklima in Flugzeugen, das häufig Quell von Beschwerden ist. Dazu sind neben menschlichen Testpersonen vor allem auch virtuelle im Einsatz. Der DressMAN 2.0 ist ein eigens entwickeltes Klimamesssystem des Fraunhofer IBP, das für Messungen des Innenraumklimas in Flug- und Fahrzeugen sowie im Büro verwendet wird. Das neue Systemkonzept berücksichtigt dabei neben der Lufttemperatur, auch die Luftgeschwindigkeit sowie die Wärmestrahlung. Gleichzeitig ermöglicht ein von den Fraunhofer-Forschern neu entwickelter Sensor die Bestimmung der Äquivalenttemperatur. Dies ist die homogene Temperatur des gedachten Raumes mit einer Luftgeschwindigkeit gleich Null, in dem eine Person die gleiche trockene Wärme durch Strahlung und Konvektion abgibt wie in der tatsächlichen Umgebung ohne einheitliche Bedingungen.
Somit werden thermische Umgebungsbedingungen mit nur einem Zahlenwert, dem Klimasummenmaß, beschreibbar. Auf diese Weise ist es möglich, unterschiedliche Klimaszenarien vergleichend zu bewerten und schließlich das Innenraumklima zu optimieren.
Gerüchen auf der Spur
Schlechte Gerüche an Bord – wer kennt das nicht? Eine Sitznachbarin mit zu viel Parfum oder ein unangenehmer Luftschwall aus dem WC haben sicherlich jeden Fluggast schon einmal getroffen. Derzeit kommt in Flugzeugen ein Kompromiss zum Einsatz, um Passagiere und Crew mit Luft zu versorgen. Er besteht aus erwärmter, energieintensiver Frischluftzufuhr und energiesparendem Umluftbetrieb. Damit können Geruchsspitzen jedoch nicht unmittelbar abgefangen werden. Bisher gibt es keine technische Lösung, die flexibel und direkt auf derartige Einzelgeruchsereignisse reagieren kann. Im Standardbetrieb wird der Frischluftanteil deshalb meist zu hoch gefahren, was unnötig hohe Aufheizenergie verbraucht. Dank eines durch das Fraunhofer IBP optimierten Metalloxidsensors könnte dieses Szenario bald der Vergangenheit angehören. Da er auch unter den extremen und schwankenden Umweltbedingungen im Flugzeug, wie geringer Feuchte und niedrigem Luftdruck, funktioniert, ermöglicht der Sensor – ähnlich wie im Automobil- und Gebäudebereich – eine bedarfsgerechte Lüftung, indem er die Luftzufuhr in Abhängigkeit der tatsächlichen Luftqualität steuert. Somit schlägt er gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: der gezielte Einsatz von Frischluftzufuhr und Umluftbetrieb hilft gegen üble Gerüche ebenso wie gegen unnötigen Energieverbrauch.
Ökologisch gerechtes Design mit ENDAMI
Ebenfalls unter den »ökolonomischen« Aspekt fällt die Weiterentwicklung des Ökobilanzierungstools ENDAMI. Sind Ökobilanzen in den meisten Industriezweigen bereits Gang und Gäbe, hat die Luftfahrtindustrie hier noch Nachholbedarf. »Life Cycle Assessment« (LCA) nennen Experten das systematische Erfassen der Umweltlasten verwendeter Bauteile in einem Flugzeug. Die Analyse umfasst sämtliche Umweltwirkungen, die ein Produkt während seines kompletten Lebenszyklus erzeugt hat – von der Herstellung über die Nutzung bis zum Recycling oder zur Entsorgung. Um die Daten zu erheben, sind leistungsstarke Softwareprogramme notwendig. Diese sind sehr komplex und werden aktuell überwiegend von externen Fachleuten bedient, die über spezielles LCA-Wissen verfügen. Um Planern und Designern einen leichteren und vor allem zeitigeren Zugang zu den Ökobilanzen ihrer Flugzeuge zu geben, hat das Fraunhofer IBP gemeinsam mit seinen Projektpartnern im Rahmen der europäischen Forschungsinitiative »Clean Sky« das eco DESIGN® Tool ENDAMI entwickelt. Der Abschluss des Projekts steht Ende Mai 2014 bevor. Im vergangenen Jahr haben die IBP-Wissenschaftler das Programm nun konsequent weiterentwickelt und seine Bedienbarkeit weiter erleichtert, sodass Flugzeugbauer nun bereits im Designprozess auf einfach Art und Weise mehrere Designvarianten ihrer Flieger durchspielen und dabei immer die Ökobilanz im Auge behalten können.
Interessieren Sie sich für die Umweltwirkungen von Produkten, Prozessen und Dienstleistungen der Luftfahrtbranche? Das Fraunhofer IBP veranstaltet am Dienstag, 20. Mai, um 14 Uhr einen Workshop zum Thema »eco DESIGN® Software Tool ENDAMI – Life Cycle Assessment in Aviation« im Conference Center der Messe. Experten aus der Forschung und Praxis berichten über die Funktion und Anwendungsmöglichkeiten des Software Tools ENDAMI, das speziell zur Erstellung von Ökobilanzen in der Luftfahrtbranche entwickelt wurde.
Mehr als nur Abfall: Am Ende des Lebenszyklus
Der Lebenszyklus, vielmehr sein Ende, steht im Mittelpunkt eines weiteren Clean Sky-Projektes, an dem das Fraunhofer IBP maßgeblich beteiligt ist. Gemeinsam mit Partnern aus Industrie und Forschung entwickeln IBP-Wissenschaftler Möglichkeiten, um Glaswolle aus der Flugzeugisolierung eine neue Bestimmung zu geben. Bislang gibt es für alte Glaswolle nämlich keine Wiederverwertungsoptionen, stattdessen wird sie als Sondermüll in unterirdischen Deponien entsorgt. Das sorgt für hohe Entsorgungskosten und belastet die Deponien. (Glaswolle, die vor 1995 produziert wurde, gilt als krebserzeugend, nach 1995 produzierte Glaswolle immerhin noch als gesundheitsschädlich.)
Nach 1995 produzierte Glaswolle, zum Beispiel aus Flugzeugisolierungen, kann allerdings noch vielfältig eingesetzt werden, ohne Mensch und Natur zu schaden. Geschreddertes und geschnittenes Material kann beispielsweise zur Erhöhung der mechanischen Festigkeit in verschiedene Baumaterialien eingebracht werden, zum Beispiel in Pflastersteine, Leichtbeton, Fassadenplatten oder Tonziegel. Alte Glaswolle kann aber auch mit anderen Fasern gemischt und mit einem Binder zu neuem Isoliermaterial verarbeitet werden. Altes Isolierfolienmaterial (PET) kann durch Zumischen anderer Polymere (PE) zu neuen Polymerpellets bzw. neuen Polymerprodukten verarbeitet werden.
Von Clean Sky zu Clean Sky 2
Mitte 2014 startet mit Clean Sky 2 der zweite Teil des europäischen Großforschungsprojekts, an dem auch das Fraunhofer IBP maßgeblich mitbeteiligt sein wird. Es ist geplant, dass die Europäische Kommission gemeinsam mit der Industrie für Clean Sky 2 über sieben Jahre eine Gesamtsumme knapp 4 Milliarden Euro aufbringt. Das Projekt soll dabei Hand in Hand gehen mit den Zielen des »Flightpath 2050« – ein Konzept der europäischen Kommission, das eine hochrangige Forschergruppe für Luftverkehr und Luftfahrt im Jahr 2050 erarbeitet hat. Auch soll es die neue Agenda für Strategische Forschung und Innovation des »Advisory Council for Aeronautics Research in Europe« (Acare) berücksichtigen. Teil der Vereinbarung ist es weiterhin, Clean Sky 2 in das europäische Forschungs- und Innovationsprogramm »Horizon 2020 – A framework programme for research and innovation« einzubetten: Dieses Programm läuft ebenfalls von 2014 bis 2020 und umfasst ein Budget von ca. 80 Milliarden Euro.
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